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Eine Nacht in Bari

Eine Nacht in Bari

Titel: Eine Nacht in Bari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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eingehalten wird, kommt es unweigerlich zu einer Schlägerei.
    Paolo hatte sich bei solchen Dingen noch nie ausgekannt. Soviel ich wusste, hatte er sich in seinem ganzen Leben noch nie geprügelt. Er kam dem anderen zu nahe, und der gab ihm eine Ohrfeige. Eine ordentliche, kräftige, harte Ohrfeige. Eine Ohrfeige von jemandem, der gewohnt ist, auszuteilen. Paolos Kopf wackelte gefährlich, die Brille flog weg, er wich zurück – oder wurde geschubst – und landete wieder an der Wand, von der er sich gerade erhoben hatte.
    Wie so oft in diesen Fällen, wird meine Erinnerung an die Szene von diesem Moment an undeutlich. Ich glaube, dass der Typ seinerseits denselben Fehler machte
wie vorher Paolo. Er begnügte sich nicht mit der Ohrfeige, sondern kam noch einmal heran, um weiterzumachen.
    Mein Bein ging los, ohne dass ich es wirklich beschlossen hätte.
    Vielleicht war es aber auch umgekehrt und ich wollte, dass er näher kam und noch einmal ausholte, damit ich einen Grund hatte, das zu tun, was ich jetzt tat.
    Im Film meiner Erinnerung setzt sich das Bein ohne einen bewussten Befehl des Gehirns in Bewegung, beschreibt einen Kreis und beendet ihn, indem der Fuß im Bauch des Schnauzbarts landet. Der krümmt sich zusammen wie ein Fußball, aus dem die Luft weicht, und macht dabei ein prusteähnliches Geräusch, das irgendwo zwischen lächerlich und dramatisch liegt. Das wäre eigentlich genug, aber ich gehe trotzdem auf ihn los und schlage auf ihn ein, immer wieder, viel mehr, als nötig wäre.
    Sicher ist, dass er sich in der nächsten Szene ins Gesicht fasst und eine blutige Hand sieht. Paolo klaubt seine Brille auf und die Flasche; Giampiero rät, dass wir dringend gehen müssten, bevor jemand die Polizei holt und wir uns womöglich alle »tief in der Scheiße« wiederfinden. Der Schnauzbart blickt auf seine blutige Hand und sagt nichts, denn die Ereignisse haben eine überraschende Wendung genommen. Ein Mann, der – wenn schon nicht sein Vater – doch durchaus sein Onkel sein könnte, hat ihn verprügelt und ihm das Gesicht kaputtgeschlagen. Damit hatte er nicht gerechnet, und ganz nebenbei bemerkt blutet seine Nase beunruhigend stark. So
bleibt er zurück in der Hoffnung, einen Sinn in dem Ganzen zu finden (oder wenigstens einen Wattebausch), während wir uns wie drei korpulente Halbstarke nach einem misslungenen Streich aus dem Staub machen.
    Wir liefen schnell durch den Hof, erreichten den Corso Italia und das Auto, das Giampiero startete und – begeistert von seiner Rolle als Chef der Rettungsmannschaft – mit quietschenden Reifen über den Asphalt jagte. So dass die Polizei, falls sie zufällig vorbeikam, auf jeden Fall hinter uns her gefahren wäre.
    Im Auto sprach keiner ein Wort. Giampiero konzentrierte sich aufs Fahren und wechselte alle zwei Häuserblocks die Richtung. Er hatte eine Mission zu erfüllen: Er brachte uns in Sicherheit, weit weg von der Feuerlinie, außer Gefahr. Falls es uns gelang, nicht ins Kittchen zu kommen (gemeint war vor allem ich), dann war das allein sein Verdienst.
    Paolo konnte ich nicht sehen, denn er saß hinter mir. Aber ich hörte ihn keuchen. Er klang wie jemand in Atemnot: düster, frustriert und wütend.
    Ich sah auf die Straßen vor mir – die Straßen, nicht das Navigationsgerät -, die vom Kühler des sicher vorwärtsrollenden Wagens verschluckt wurden, und konnte an nichts anderes denken.
    Mit einem unsinnigen, totalen Triumphgefühl konnte ich nichts anderes denken, als dass dieser Scheißkerl zwanzig Jahre jünger war als ich und dass ich ihm die Fresse eingeschlagen hatte.
    Ich konnte es noch.
    Zum Teufel, ich konnte es noch.

ZEHN
    Giampieros Auto verschlang die Straßen und ihre Gespenster wie die Spielfigur von Pace-Man. Via Sagarriga Visconti, Via Dante, Via De Rossi, Corso Vittorio Emanuele, wo jetzt keine Autos mehr in zweiter Reihe parkten, keine Jugendlichen und keine Mopeds mehr zu sehen waren und die Lokale aussahen, als hätten sie für immer geschlossen.
    Ein Streifenwagen fuhr gemächlich auf der Gegenspur auf uns zu. Als Giampiero ihn sah, verlangsamte er. Wir waren Gangster auf der Flucht vom Schauplatz des Verbrechens, und wir durften nicht auffallen. Die Autos zogen aneinander vorbei, die Polizisten ignorierten uns. Giampiero seufzte vor Erleichterung.
    Vielleicht habe ich mir das allerdings auch nur eingebildet, um die Geschichte auszuschmücken, aus erzähltechnischen Gründen.
    Ich weiß es nicht. Ich kann den genauen Ablauf dessen, was

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