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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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rempelte er, nicht unbeabsichtigt, männliche Passanten auf der Straße an. Das Ganze war äußerst dumm, und doch fand er Gefallen daran. Ein Mal pro Tag ging er in ein ruhiges Café und fegte eine zarte Porzellantasse vom Tisch. Wenn die genervte Kellnerin sich neben ihm bückte, empfand er kein bisschen Scham, sondern einen leichten Lustschauder. Nicht wegen des Anblicks ihrer Brüste im Ausschnitt, sondern weil sie vor ihm kniete, mit ihren Fingern die Scherben aufklaubte. An einem seiner ersten Tage in der Stadt hastete er zum Markt, mit dem vagen Gedanken an einen ganzen Stand mit zerbrechlichen Glassachen. Doch dort geschah das Wunder:
    Schneeflocken begannen zu rieseln. Jakob Markowitz schlüpfte schnell unter das Dach des Standes – einen großen, von einer Plane überspannten Bereich voller Kisten, in denen sich Lampen, Geschirr, Gläser und Glasfiguren stapelten. Zwischen den Kisten schlenderten die Kunden, die sich an diesem kalten Tag auf den Markt getraut hatten, und hoben hier und da einen Gegenstand auf, um ihn näher in Augenschein zu nehmen. Jedes Mal, wenn jemand ein Glas oder einen Teller oder einen Kristallleuchter in die Hand nahm, ließ der Gegenstand ein feines Klingen vernehmen. Und da an diesem verschneiten Morgen viele Menschen an dem überdachten Stand waren, gab es viel Klingeling. Kein Mensch sagte etwas. Nur die Glassachen sangen füreinander, und die Schneeflocken schwebten sanft herab wie weiße Tänzerinnen.
    Bei diesem Wunder des rieselnden Schnees und des klingenden Geschirrs ließ Jakob Markowitz seinen Plan fallen. Jetzt wollte er diese gläsernen Sachen, denen ihr Alter anzusehen war, nicht mehr zerbrechen. Der Umstand, dass so zerbrechliche Dinge ihre Besitzer überlebten, machte ihn nicht mehr zornig. An diesem Tag stellte Jakob Markowitz seine Rache der kleinen Leute ein und suchte wieder nach seinem Freund. Nun hatte er sich von dem Zauber Europas befreit, war nicht mehr verlegen, wie bei seinem vorigen Besuch. Kam dem Land auch nicht frech, wie zu Beginn seiner jetzigen Reise. Nun durchpflügte er es kreuz und quer, nicht begierig und nicht im Zorn, sondern mit einem schlichten Wunsch – Seev Feinberg wiederzusehen.
    Als Jakob Markowitz Seev Feinberg fand, war der Umschlag, den er von dem Mann mit der Windjacke erhalten hatte, schon erheblich leichter. Früher war ihm nie aufgefallen, wie schnell das Geld sich verflüchtigte. Vielleicht, weil er früher kein Geld gehabt hatte. Außer den Übernachtungs-, Fahrt- und Verpflegungskosten gab es auch noch andere Ausgaben: Im Nachkriegsdeutschland waren die Frauen zum Weinen schön und erstaunlich billig. Alle hatten den gleichen traurig verwunderten Gesichtsausdruck, als hätten sie ihren Zusammenbruch noch nicht ganz verarbeitet. Jakob Markowitz begegnete ihnen sanft, fast ängstlich. Immer ließ er mehr Geld als vereinbart auf dem Nachtschrank liegen. Wenn er Schuld empfand, beschwichtigte er sie schnell in den Armen einer weiteren Frau. Auch wenn er Zorn verspürte. Bald entdeckte er, dass die Gefühle, die den Menschen befallen – Schuld, Wut, Trauer, Sehnsucht –, allesamt der Glut der Leidenschaft weichen. Wenn ein Laken den Körper von oben umhüllte und der Körper einer Frau ihn von unten hielt, dann vergaß Jakob Markowitz für einige Momente, was er vergessen wollte. Niemals dachte er daran, ob die Momente seines Vergessens sich ins Gedächtnis der Frauen eingraben würden, mit deren Hilfe er vergaß. Er entlohnte sie mehr als großzügig.
    Nach und nach sammelte er Nachrichten über eine jüdische Kommandoeinheit, geleitet von einem schnauzbärtigen Riesen. Es handelte sich um Feinberg, daran hegte er keinen Zweifel. Dass der Hüne neben einer Pistole allerdings auch ein goldhaariges kleines Mädchen mitführte, verunsicherte ihn. Und doch forschte Jakob Markowitz dem Kommando weiter nach, zum einen in der Hoffnung, hinter dieser Gestalt verberge sich tatsächlich Feinberg, und zum anderen aus dem Fehlen einer anderen Fährte. Schließlich fand er ihn in einem kleinen Städtchen an der österreichischen Grenze, so abgelegen, dass selbst die Einwohner den Namen vergessen hatten. Seev Feinberg und seine Kameraden waren ein paar Tage zuvor dort eingetroffen, auf der Suche nach irgendeiner Information, die sie zu ihrem nächsten Ziel leiten würde. Aber das Städtchen war so klein, dass das Gerücht von der Judenbande und dem goldhaarigen Mädchen schnell die Runde machte und die Einwohner den Mund hielten. Da die

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