Eine Nacht, Markowitz
wurde fuchsteufelswild, schäumte vor Wut, sein Schnauzer bebte. Wie könne sein Gegenüber es wagen, die jüdische Abstammung des Mädchens anzuzweifeln? Sie sei zwar eine Waise, aber entschieden eine Jüdin. Und wenn denn eine jüdische Seele im Herzen des Fälschers pulsiere, so werde er doch auf der Stelle helfen, sie ins Land Israel zu bringen.
»Ein Mensch, der sich von der Lüge ernährt, kann sie erkennen, mein Herr. Das Kind ist so jüdisch, wie Sie arisch sind.« Seev Feinberg seufzte. »Stimmt. Trotzdem, tun Sie es für mich, dass sie Jüdin wird.« Der Fälscher schüttelte ablehnend den Kopf. »Die Lügen, die ich gesagt und die Urkunden, die ich gefälscht habe, waren allesamt dazu bestimmt, Juden zu retten. Warum sollte ich einer wie der da helfen?«
»Sie werden einen Juden retten, wenn Sie es tun.«
»Wen denn wohl?«
»Mich.«
Vier Tage später verließen sie Europa. Die Schiffspassagiere waren sich einig, dass sie noch nie einen Vater gesehen hatten, der so vernarrt war in seine Tochter wie Seev Feinberg in Naama.
14
W ieder fuhren Seev Feinberg und Jakob Markowitz zusammen auf hoher See. Bei ihrer ersten Schiffsfahrt waren sie beide ledig gewesen und vor Abraham Mandelbaums Messer nach Europa geflohen. Die zweite Passage hatten sie beide als verheiratete Männer angetreten, Seev Feinberg hatte sich scheiden lassen und zu Sonia zurückkehren wollen, und in Jakob Markowitz’ Herz war schon die Weigerung, Bella freizugeben, gereift – oder richtiger, gefault. Auf die dritte Schiffsreise gingen sie beide als Väter, Jakob Markowitz als Vater eines Jungen, von dem er wusste, dass er nicht sein Sohn war, und Seev Feinberg als Vater eines Jungen, den er in Israel zurückgelassen hatte, und eines Mädchens, das er mitbrachte. Aber statt über die Veränderungen nachzusinnen, die die Zeit und der Zufall ihnen bescherten, statt vergangene Ereignisse aufleben zu lassen oder über künftige Umwälzungen zu spekulieren, hatten Jakob Markowitz und Seev Feinberg alle Hände voll zu tun. Naamas Pflege war weit schwieriger als jede Herausforderung, die sie je zu meistern gehabt hatten. Ihren Weinkrämpfen, ihren Brechanfällen und den sich alsbald türmenden schmutzigen Stoffwindeln standen die Männer hilflos gegenüber. Seev Feinbergs vielgerühmte Findigkeit verpuffte nach der vierten schlaflos verbrachten Nacht, denn das Kind setzte kein Vertrauen in das schwankende Schiff und fing schon bei schwachem Wellengang an zu schreien. Auch Markowitz’ Hingabe und Beherztheit versagten bei dem Plärren der Kleinen, das so monoton und anhaltend war, dass Markowitz, obwohl an sich von ausgeglichener Natur, das schreiende Kind beinah ins Wasser geworfen hätte. Vor ihrer Einschiffung hatten sie sich an den Glauben gehalten, an Bord werde sich sicher eine Amme oder ein Kindermädchen oder einfach eine Frau finden, deren mütterliche Gefühle sie zu dem Mädchen lenken würden. Durch Pech oder einen gezielten Fluch geschah jedoch nichts dergleichen. Zwar wimmelte das Schiff tatsächlich von Frauen, doch eine Amme oder gar ein Kindermädchen war nicht darunter. Die Mütter hatten genug zu tun mit ihren eigenen Sprösslingen, die weinten und kotzten und herumtollten und einen Lärm veranstalteten, der jedes menschliche Wesen um den Verstand bringen konnte. Die jungen Frauen wiederum verhielten sich wie junge Frauen, das heißt, sie plauderten und lachten, vögelten diskret oder weniger diskret und machten sich ein Bild von dem Land überm Meer. Und keine wollte das Plaudern und Kichern und Vögeln und Fantasieren aufgeben, um sich eines kreischenden Kleinkinds anzunehmen.
Seev Feinberg und Jakob Markowitz wechselten sich bei der Kinderpflege ab, sodass immer einer ruhte und einer schuftete. Diese Arbeitsteilung war durchaus effektiv, nur blieb ihnen dabei kaum noch Gelegenheit für ein echtes Gespräch. Zwar gelang es ihnen gelegentlich, ein gemeinsames Abendstündchen an Deck herauszuschinden, das schlafende Kind neben sich. Aber meist erwachte Naama schon wenige Minuten nach Beginn des Gesprächs und bereitete ihm ein abruptes Ende. Bei der Wachablösung konnten sie ein paar knappe Worte über den Tagesverlauf einschieben (wie oft Stuhlgang, wann gegessen, den Matrosen mit dem Papagei auf der Schulter zwei Mal angelächelt), aber nicht mehr als das. Niemals schien der Moment einzutreten, in dem Jakob Markowitz sagen könnte: Erzähl mir, Feinberg, wovor bist du hierher geflohen? Genau wie Seev Feinberg es immer
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