Eine Nacht, Markowitz
verbanden ihn ja mit der Hand, die sie übersetzt hatte, einer vernarbten Hand an einem perfekten Körper.
Bald merkten sie, dass sie noch mehr Geld brauchten. Die Dichtung war offensichtlich eine teure Angelegenheit. Bella schlug vor, Sonia darauf anzusprechen. Die Beauftragte für die Eingliederung von Frauen in den Arbeitsmarkt würde sicher gern die Herausgabe der Gedichte einer so begabten Frau wie Rachel Mandelbaum unterstützen. Also fuhren sie wieder nach Tel Aviv. Sonia begrüßte sie mit warmen Umarmungen und schönen Worten, erklärte aber, nicht helfen zu können. »Sie hat sich aufgehängt, als ihr Sohn auf dem Hof spielte. Ich bitte dich, Bella, du wirst doch nicht ernstlich erwarten, dass ein Amt für Frauenangelegenheiten eine solche Frau zum Sinnbild erhebt?« Bella sah Sonia verblüfft an. Habe sie denn tatsächlich die Tage vergessen, die sie, Rachel, Sonia und Bella, gemeinsam unterm Feigenbaum am Bach verbracht hatten? Den Duft der Brote, die Rachel gebacken hatte – eines zum Essen am Bachufer und eines für Sonia zum Mitnehmen, weil sie immer über die Betonklötze klagte, die aus ihrem Ofen kamen?
Sonias graue Augen blitzten scharf. »Großer Gott, wie lange wollt ihr noch denken, die Frau habe nichts Heroischeres zu tun, als Brot zu backen? Ich bemühe mich, Lehrerinnen, Ärztinnen, vielleicht sogar Ingenieurinnen aus ihnen zu machen, und du möchtest, dass ich Gedichte subventioniere!«
»Aber was für Gedichte, Sonia, wenn du sie nur lesen würdest!«
»Sicher sind sie sanft. Und sehr, sehr traurig. Und zum Schluss kommt Einsamkeit. Oder Unfruchtbarkeit. Oder eine Hand, die an die Kehle greift. So sind unsere Dichterinnen. Wenn sie wenigstens ein bisschen auf andere eindreschen würden und nicht immer nur auf sich selbst.«
Bella Markowitz klappte den Mund auf und wieder zu, ohne eine Silbe herauszubringen. So verblüfft war sie über die Veränderung, die ihre Freundin durchgemacht hatte. War das dieselbe Sonia, die sich Rachel Mandelbaums Sohn angenommen hatte? Dieselbe Sonia, die sie, Bella, seit ihrer Ankunft in der Moschawa unterstützt hatte? Als Bella die Stimme wiederfand, merkte sie, wie zittrig sie klang. Vergeblich versuchte sie Sonia zu erklären, dass auch Dichtung Kampf sei. Dass eine Frau wie Rachel, die erst das Blut vom Boden der Fleischerei aufwischt und sich dann ans Schreiben setzt, die mit schwieligen Händen vom Nähen und Waschen und Putzen zur Feder greift und unter dem endlosen Singsang von Schlafliedern für ein weinendes Kind ihrer Seele ein echtes Gedicht abringt, dass auch diese Frau eine Kämpferin ist.
Sonia schüttelte den Kopf. »Nicht für solche Kriege rüste ich meine Frauen.« Die beiden sahen einander an, graue Augen in graue Augen. Kurz darauf erhob sich Bella majestätisch langsam. Jakob Markowitz beeilte sich, ebenfalls aufzustehen. Er hatte der erbitterten und tiefschürfenden Debatte zwischen Sonia und Bella eine Weile gelauscht, den Sinn jedoch nicht ganz erfasst und daher lieber stumm zugesehen. Aber auch ohne den Worten auf den Grund zu kommen, begriff er sehr wohl, dass diese beiden Frauen, die einander beim Wiedersehen in schwesterlicher Liebe um den Hals gefallen waren, jetzt keine Schwestern mehr waren.
Vor dem Verlassen des Zimmers wagte Jakob Markowitz Sonia zu fragen, wo er Feinberg finden könne. Kein Muskel regte sich in ihrem Gesicht, als sie ihm antwortete, er solle in die Trumpeldor-Straße 48 gehen.
17
A uf fünfzig Meter Entfernung wussten Jakob Marko- witz und Bella schon, welche Wohnung sie ansteuern mussten. Seev Feinbergs Geschrei hallte durch die ganze Straße. »Ich bin ein grausamer Räuber! Ich bin ein furchtbarer Pirat!« Das Freuden- und Angstgekreisch der Kinder zauberte ein Lächeln auf Jakob Markowitz’ Gesicht, als er an die Tür klopfte. Er musste mehrmals pochen, ehe Seev Feinberg das Spiel unterbrach und murrte: »Moment, ich mach schon auf.« Doch als Seev Feinberg endlich den Schlüssel im Schloss drehte und die Gäste erblickte, schlug sein Murren in lauten Jubel um: »Markowitz! Bella! Was für eine freudige Überraschung!« Bella lächelte schwach, hatte Sonias Weigerung noch nicht überwunden. Jakob Markowitz hingegen lächelte breit, denn sein guter Freund trug nicht ein, nicht zwei, sondern drei Kinder huckepack. Auf seiner rechten Schulter saß Naama, das goldene Haar mit einer Schleife zusammengefasst. Auf seiner linken Schulter Jotam Mandelbaum, die Augen so braun wie Rachels und das Haar so
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