Eine Nacht, Markowitz
wirklich zu ihr zurückgekehrt war, wirklich und wahrhaftig. Kein Gespenst des geliebten Mannes, sondern der Mann selbst, aus Fleisch und Blut und mit starken Händen. Seev Feinbergs Finger waren groß und warm und konnten fest zupacken. Mit diesen Fingern hatte er sie in der ersten Nacht angefasst, lachend und forschend. Mit diesen Fingern hatte er sie all die Nächte danach berührt. Mit diesen Fingern hatte er sie auch dann angepackt, als sie ihn wund kratzte, nachdem ihr seine Untreue mit Rachel Mandelbaum zu Ohren gekommen war, trotz aller Versprechungen. Obwohl seine Haut von ihren Fingernägeln geblutet hatte, hatte er sie doch angefasst und versprochen, sie wieder anzufassen, sobald der Schächter sich beruhigt hätte und er selbst ins Dorf zurückkehren könnte. Er war damals zu ihr heimgekehrt. Sie hatte am Meer auf ihn gewartet, und er war zu ihr zurückgekommen. Und jetzt, als sie schon aufgehört hatte zu warten, als der Ring an ihrem Finger schon zur Gewohnheit geworden war, eine alte Erinnerung und nicht mehr, war er wieder zurückgekommen.
Endlich drehte Sonia sich um und stand Angesicht zu Angesicht Seev Feinberg gegenüber. Seine Augen waren blauer denn je, und sein Schnauzer stand keck. Unter dem Schnauzer saßen seine fleischigen, wohlgeformten Lippen. Beinah peinlich, der Gedanke, dass so sinnliche Lippen einem Mann gehörten, und vielleicht versteckte Seev Feinberg sie deshalb geflissentlich unter einem wilden Schnauzer. Jetzt grinsten die Lippen Sonia lausbübisch an. »Da bin ich.«
Seev Feinberg hatte kaum ausgesprochen, als Sonias Körper sich schon an seinen schmiegte, ihr Kopf an seinem Schnauzer, seinen Lippen, seinem Hals schwelgte, er ihren Duft einsog und sie an seinem Ohrläppchen knabberte. Der getadelte Postbote betrachtete das Schauspiel eine Weile mit erheblichem Interesse, ehe er begriff, dass er sich tunlichst aus dem Büro der leitenden Frauenbeauftragten davonmachen sollte. Zwar konnten die Frauen in dem Heft, das er in der Tasche hatte, nicht mit Sonias demonstrierter Leidenschaft und Begierde konkurrieren, aber jene Frauen waren an fremde Blicke gewöhnt, ihr gezeichnetes Lächeln lud zu allem ein, während die Frauenbeauftragte wohl kaum lächeln würde, wenn sie seine Anwesenheit bemerkte.
Seev Feinberg und Sonia blieben allein in Sonias Büro, umarmten und beschnupperten sich geraume Zeit, bis Sonia abrupt von Seev Feinberg abließ und ausrief: »Großer Gott, ich komm zu spät zur Vier-Uhr-Sitzung!« Als sie zur Tür hastete, packte Seev Feinberg sie am Arm (rundlich, weich, wie ein süßes Schabbatbrot mit den Sommersprossen als Rosinen) – »Sonitschtka, wie kannst du mich jetzt allein lassen? Sag ihnen, sie sollen ohne dich tagen.« Aber Sonia entwand sich Feinbergs Griff und sagte lächelnd: »Wie sollen sie die Sitzung denn ohne mich abhalten, wo ich doch die Direktorin bin?« Und ehe er noch etwas sagen konnte, streifte ihr Rock auch schon zum Abschied den Türpfosten, und Seev Feinberg blieb allein in dem geräumigen Büro der Irgun-Beauftragten für die Eingliederung von Frauen in den Arbeitsmarkt.
Ein paar Minuten später kam die Sekretärin mit einer Tasse Kaffee herein. »Die Chefin hat gesagt, der Herr würde ihn so glühend heiß trinken, dass die Zunge brennt.« Seev Feinberg trank einen Schluck und gab der Sekretärin die Tasse zurück. »Nehmen Sie es nicht persönlich. Kein Mensch kann Kaffee so anbrennen wie Sonia.« Die Sekretärin zuckte die Achseln. »Die Chefin hat auch gesagt, wenn der Herr den Kaffee ausgetrunken hätte, könne er seinen Sohn und das zweite Kind sehen und die Kinderfrau ablösen, in der Trumpeldor-Straße 48 . Sie werde nachkommen, sobald die Sitzung zu Ende sei.« Die letzten Worte sprach die Sekretärin bereits in den Rücken des davoneilenden Seev Feinberg, der das Büro der Frauenbeauftragten im Laufschritt verließ. Er sauste die drei Treppen hinunter, wäre beinah über den Postboten gestolpert, der verstohlen in sein Heft lugte, dankte der Sekretärin, die im Erdgeschoss mit Naama gespielt hatte, und lief hinaus, die Kleine auf den Schultern, unterwegs zu seinem Sohn.
16
D ie Tagesmutter, die Sonia eingestellt hatte, musterte Seev Feinberg prüfend. »Und wer ist der Herr?« Diese Worte sagte sie so trocken, als wäre es ihr gleich, ob er »der König von England« oder »der heilige Isaak Luria aus Safed« antworten würde.
»Ich bin Seev Feinberg. Sonias Mann.«
»Wirklich?« Der Blick der Tagesmutter wanderte
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