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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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nie gern vergangene Abenteuer aufgewärmt. Warum sollte man wiederkäuen, wenn man herzhaft ins Fleisch der Zukunft beißen konnte? Das Gerede über Erinnerungen verschliss sie nur, wie ein oft gewaschenes Hemd seine Farbe verlor. Doch als er Sonia von seinen Erlebnissen an Bord mit Seev Feinberg erzählte, erwachten sie wie von selbst zum Leben und traten ihm farbiger denn je vor Augen. Anfangs schrieb er das seinem seltenen Erzähltalent zu, aber bald musste er sich eingestehen, dass es nicht an ihm lag. Es war Sonia. Jede Pore ihrer Haut schien darauf ausgerichtet, seine Worte aufzunehmen. Als er erzählte, wie er seine Familie verlassen hatte und in die große Stadt und weiter zum Schiff gelangt war, trat Mitgefühl in ihre Augen. Als er schilderte, wie sie beinah im Sturm ertrunken wären, zitterten ihre Nasenflügel in einem Anflug von Angst. Als er die Witze zum Besten gab, die er Feinberg beigebracht hatte, schüttelte sie sich vor Lachen, und auch der Irgun-Vizechef fühlte sich beschwingt. Die Vergangenheit war nicht mehr vergangen, wenn man sie Sonia erzählte. Ihre Aufmerksamkeit war so vollständig und ihre Anteilnahme so ehrlich, dass die vermeintlich kalten und faden Erinnerungsreste wieder warm und aromatisch wurden und ihm den Bauch mit Freude füllten. Sie saßen bis in die frühen Morgenstunden zusammen. Er erzählte ihr die Seemannswitze, auch die unanständigsten, und entdeckte in ihrem Gesicht verblüfft ein breites, vergnügtes Grinsen statt der erwarteten Schamröte. Er setzte ihr Feinbergs brillante Schachzüge und seine eigenen eleganten Gegenattacken auseinander, und obwohl sie absolut nichts davon verstand, klatschte sie in spannenden Augenblicken fröhlich in die Hände. Um sie nicht zu kränken, überging er die Weibergeschichten, aber nachdem sie ihn mit wissendem Blick angeschaut hatte, konnte er doch nicht anders und erzählte sie ausführlich. Da war die Frau gewesen, bei der sie sich als Brüder ausgegeben und, auf ihren ungläubigen Blick hin, behauptet hatten, beide das gleiche Muttermal am Glied zu haben, worauf sie sie prompt überredeten, doch mal nachzuschauen. Und da war die, die ihren Büstenhalter mit Strümpfen ausgestopft hatte, die sie in den kalten Nächten jedoch anziehen musste, sodass ihre Brüste am nächsten Tag nach Fußschweiß rochen. Und die, die erklärte, sie werde sich Feinberg erst hingeben, wenn er seinen Schnauzer abnähme, was der Irgun-Vizechef mit dem Satz quittierte, der werde sich erst dann mit ihr abgeben, wenn sie sich selbst einen Schnurrbart stehen ließe. Zum Schluss erzählte er Sonia von der Nacht, in der sie im Land eingetroffen waren. Ihre auseinanderstehenden Augen rückten zusammen vor Staunen, und er konnte kaum einen Satz zu Ende bringen, ohne dass sie ihn mit einem Zwischenruf unterbrach: »Mit den illegalen Einwanderinnen an der einen Hand und den Schachfiguren in der anderen?« Und: »Was haben die Briten gesagt, als sie euch sahen?« Und schließlich der Ausspruch, der das Herz des Irgun-Vizechefs am meisten erfreute: »Aber wie war denn die Brettstellung?«
    Bei Tagesanbruch verließ er ihr Haus. Nachdem er so viele Stunden über Seev Feinberg gesprochen hatte, empfand er große Sehnsucht nach seinem Freund auf der anderen Seite des Meeres. Den ganzen Weg nach Tel Aviv schwelgte er in Erinnerungen an ihre gemeinsame Schiffspassage. Und da der Irgun-Vizechef derart mit seiner Sehnsucht nach Seev Feinberg beschäftigt war, begriff er erst geschlagene zwei Tage später, dass er sich auch nach Sonia sehnte.
    In den folgenden Tagen witterte der Irgun-Vizechef Orangen auf Schritt und Tritt. Immer wieder trugen ihn seine Füße zum Jaffaer Hafen, wo die Händler erschraken, als sie ihn mit sehnlichem Blick an den Orangenkisten schnuppern sahen. Zuweilen dachte er, er irre sich sicherlich, es könne nicht angehen, dass ein weiblicher Körper solch einen Geruch verströmte, vielleicht hatte sie dort im Zimmer eine Schale voll Klementinen stehen gehabt. Aber im Herzen wusste er – da waren weder Klementinen noch Grapefruits gewesen. Letzten Endes übermannte ihn das Verlangen: Er kaufte sich eine Kiste Orangen, stellte sie in sein Zimmer im Hauptquartier und erlaubte keinem, davon zu essen.
    Während die Orangen im Zimmer des Irgun-Vizechefs langsam verfaulten, blühte Sonia zusehends auf bei ihren Strandbesuchen. Die Seeluft tat ihr gut. Die Sonne leuchtete auf ihren Brüsten. Der Strom von Flüchen, den sie Seev Feinberg an den Kopf warf,

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