Eine Nacht, Markowitz
Schmerzen.
Schließlich beschlossen Katz’ Kerle, einen letzten Überzeugungsversuch zu starten, bei dem sie Jakob Markowitz, vielleicht aus Übereifer, den rechten Arm brachen. Als Seev Feinberg den gebrochenen Arm erblickte, konnte er nicht mehr schweigen.
»Aber warum, zum Teufel, sag mir, warum?«
Jakob Markowitz sah ihn verblüfft an. Im Verlauf des letzten Monats hatte er sich langsam an das Schweigen seines Freundes gewöhnt, ein Schweigen, das ihm anfangs in den Ohren dröhnte und ihn schließlich wie ein Schoß umhüllte. Als Feinberg ihn nun endlich ansprach, begriff er, wie sehr er sich nach dem Klang seiner Stimme gesehnt hatte.
»Weil ich sie liebe.«
»Aber sie liebt dich nicht, Kamerad. Sie liebt dich nicht. Willst du sie jetzt das ganze Leben nur kraft der Halacha festhalten? Sie wird dich so hassen, dass dir das Blut eintrocknet, die Kehle wird sie dir durchschneiden mitten in der Nacht.«
»Das Blut war schon vorher eingetrocknet, Feinberg. Genau das verstehst du nicht. Das ist es, was du und Sonia und der Irgun-Vizechef und all diese Schläger, die mich heimsuchen, nicht verstehen können. Dass mein Blut längst eingetrocknet war. Dass mir nichts in den Adern floss als die Erwartung irgendeiner Veränderung. Hast du mal darauf warten müssen, dass dir was passiert? Nein. Menschen wie du brauchen nicht zu warten. Menschen wie dir fällt alles von allein zu. Wie man geht. Wie man redet. Wie man lacht. Aber Menschen wie ich müssen warten, bis ihnen was passiert. Und wenns dann endlich kommt, ist es gleich wieder vorbei. Hoppla! Da ist die schönste Frau, die du je gesehen hast. Hoppla! Da ist sie mit dir verheiratet. Hoppla! Da nicht mehr. Ich brauche diese Schönheit bei mir, Feinberg. Ich brauche diese Schönheit bei mir, weil der Himmel einem so etwas nicht zwei Mal schickt. Wenn du das Glück nicht fest beim Schopf packst, wenn du es gehen lässt, weil man dir einen Zahn ausgeschlagen oder einen Arm gebrochen hat, dann warst du’s auch nicht wert. Und sie wird mich lieben, das sag ich dir, am Ende wird sie mich lieben. Ich werde still und geduldig warten, werde hart arbeiten, werde ihr zeigen, dass ich’s wert bin. Am Ende wird sie mich lieben.«
Seev Feinberg seufzte. Er fixierte den Verband um Markowitz’ Arm, der inzwischen eine graue Färbung angenommen hatte. Dann ging er an die Haustür und öffnete sie. »Du bist mein bester Freund, Markowitz. In dieses Haus jedoch kommst du erst als geschiedener Mann wieder rein.«
Geschlagene zwei Monate wohnte Bella bei Sonia und Seev Feinberg. Jeden Abend sagten ihr die beiden auf Wiedersehen und gingen zu ihrem Ehemann, um ihm ins Gewissen zu reden. Jeden Abend kamen sie gesenkten Blickes zurück. Die Tage verbrachte Bella mit Selbstmitleid, das ein vorzüglicher Zeitvertreib, aber dem Teint sehr abträglich ist. Bella ahnte gar nicht, wie abträglich, bis der Irgun-Vizechef auf Besuch kam, denn nun sah sie, wie er Sonia häufig ins Gesicht schaute, ihr selbst aber gar nicht. Da bekam Bella einen Mordsschreck und hörte sofort auf, sich selbst zu bemitleiden. Die frei gewordene Zeit verwendete sie darauf, im Haushalt zu helfen. Eine Woche später kam der Irgun-Vizechef wieder. Angeblich hatte er nur Markowitz ein weiteres Mal ins Gewissen reden wollen. Wenn die Warnung des Kommandeurs nicht gefruchtet hatte, würde vielleicht die Stimme des Freundes ihre Wirkung tun. Hinterher schaute er bei den Feinbergs herein und gestand, erneut gescheitert zu sein, versprach jedoch, es wieder zu versuchen. Komisch: Während er das sagte, sah er nicht Bella Seigermann, sondern Sonia an. Bella, der gewöhnlich alle Blicke zuflogen, spürte das Ausbleiben dieses Blicks wie jemand, der merkt, dass er seine Geldbörse verloren hat.
Schließlich akzeptierte Bella, dass sie gehen musste. Feinberg und Sonia drängten sie nicht, aber eine leichte Wolke war auf ihre Gesichter getreten, wenn sie sie anblickten, und nachts hatten sie sich nicht mehr bemüht, ihr Kichern zu unterdrücken. Und doch erschraken sie, als sie ihnen ihren Beschluss mitteilte. »Aber wo willst du denn hin?«, fragte Sonia. »Was heißt, wo will sie hin?«, gab Seev Feinberg verwundert zurück. »Zu Markowitz! Solange er ihr keinen Scheidebrief gibt, ist sie ja seine Ehefrau. Sein Haus ist ihr Haus. Sein Geld ist ihr Geld. Wenigstens in diesem Punkt muss er als Ehrenmann handeln.«
Eines Sonntagmorgens erwachte Jakob Markowitz von lautem Pochen an seiner Tür. Zuerst fürchtete er, die
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