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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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kam auch Rachel Mandelbaum, ihr Bauch wuchs von Tag zu Tag, und sie trug ihn so stolz vor sich her, wie ein Kind einen Luftballon vom Jahrmarkt festhält. »Ich hab gedacht, vielleicht möchtest du Hebräisch lernen.« Bella bejahte freudig, und fortan stand Rachel nicht mehr allein in der Fleischerei. Abraham Mandelbaum betrachtete die beiden staunend, denn er konnte nicht begreifen, warum seine Frau in den Kummer der gefangenen Schönen eintauchen wollte. Keinen Moment fragte er sich, ob nicht nur eine gefangene Schöne in der Fleischerei stand, sondern deren zwei, und er sah auch nicht, wie Rachel Mandelbaum beim Bad in Bellas Kummer etwas von ihrem eigenen abspülte.
    Die Barmherzigkeit half, Rachel Mandelbaums Stimmung zu heben, aber noch mehr half die Schwangerschaft. Von Tag zu Tag verwandelte sich Rachels Sehnsucht nach ihrem verlorenen früheren Leben mehr in eine Erwartung an das Leben, das sie künftig führen sollte. Sie dachte nicht mehr an den österreichischen Soldaten Johann und sehnte sich nicht nach dem glitzernden Schnee. In ihrem Schoß wuchs ein kleines Mädchen mit zehn zarten Fingerchen und zwei vertrauensvoll geschlossenen Augen. Wollte sie doch mal Traurigkeit überfallen, verjagte sie Rachel Mandelbaum rasch mit den blauen Augen des Kindes in ihrem Schoß, denn gegen dieses Blau kam die Traurigkeit nicht an. Ganze Tage stellte sich Rachel die Augen des Babys vor, sog seinen süßen Duft ein, hörte sein Lachen. Das Lachen des Babys schlug Wellen über Wellen in ihrem Bauch, und die wallten auf und überspülten ihr Gesicht mit einem sanften Lächeln, das Abraham Mandelbaum das Herz erwärmte und sogar Bella ein wenig Freude machte. Die verflog jedoch, sobald Bella in Jakob Markowitz’ Haus zurückkehrte. Sie nannte dieses Gebäude niemals »mein Zuhause«, sondern immer »Markowitz’ Haus«, zwei Wörter, die deutlich machten, dass sie dort zwar schlief und aß und duschte, es aber nicht als ihr Heim betrachtete. Sie fegte nicht das Wohnzimmer, in das Markowitz verbannt worden war, putzte nicht das Schlafzimmer, in dem sie selbst wohnte. Hatte sie unterwegs Blumen gepflückt, warf sie sie vor dem Haus wieder weg. Ihre Kleider ließ sie zerknittert im Koffer, obwohl der weiße Schrank, den Markowitz ihr gezimmert hatte, erwartungsvoll seine Türen öffnete. Von Zeit zu Zeit verbrachte sie ein paar Nächte in einem anderen Bett, nicht unbedingt aus Fleischeslust, sondern aus den kühlen Erwägungen eines erfahrenen Feldherrn. Bella Markowitz hatte sich geschworen, Jakob Markowitz unglücklich zu machen, auch wenn sie sich dabei selbst unglücklich machen musste. Deshalb verließ sie, trotz aller Sehnsucht nach Rachel und nach Sonia, die Moschawa gelegentlich für einige Wochen, ohne ein Wort zu sagen, nur um ihm noch mehr weh zu tun.
    Jakob Markowitz fahndete nicht nach ihr. Er arbeitete auf dem Feld und fütterte die Tauben und machte Tee für Seev Feinberg und Sonia, die manchmal kamen, um ihm ins Gewissen zu reden, und für den Irgun-Vizechef, der wöchentlich anreiste – zu mahnenden Unterredungen bei Markowitz, die zusehends kürzer wurden, und zu Berichten bei Sonia, die sich zusehends in die Länge zogen. Obwohl Markowitz all diese Tage in der Moschawa blieb, streifte sein Geist durchs ganze Land. Er sah Bella in den Armen der Arbeiter im Jaffaer Hafen, mit den Fischern von Tiberias im Kinneret baden, an den Mauern Jerusalems lehnen, einen britischen Offizier sich über sie dehnen. Er sah sie in den Kibbuzim den Weg des Sozialismus beschreiten, hoch zu Ross durch Zitrushaine reiten, Chassidim in Galiläa betören, bei einem Beduinen das Flötenspiel erlernen. Er hörte sie stöhnen, sah sie sich verwöhnen und riss das Brot so wütend in Stücke, dass die Tauben ihm nicht mehr aus der Hand fressen wollten. Und doch lief er ihr nicht nach, ließ nur die Petroleumlampe brennen, weil er fürchtete, sie könnte im Dunkeln zurückkommen und das Haus nicht finden. Jakob Markowitz wusste nicht, welche Enttäuschung er seiner Frau damit bereitete: Wenn sie bei der Rückkehr von Weitem das flammende Licht sah, hoffte sie, das Haus stehe zusammen mit seinem Besitzer in Flammen, doch beim Näherkommen fand sie das Haus unversehrt vor und ebenso den Besitzer, lebendig und stur.
    Wenn Bella von ihren Exkursionen zurückkehrte, verlosch die Glut der Eifersucht, die die Wände des Hauses geröstet hatte, und die Kälte hielt wieder Einzug. Jakob Markowitz feuerte noch Ende April den Ofen an und

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