Eine Nacht, Markowitz
Kerle seien wieder da, um ihn zu verprügeln, gerade jetzt, wo seine Wunden ansatzweise verheilt waren. Noch im Pyjama stieg er aus dem Bett und eilte ins Wohnzimmer. Er öffnete die Tür, und seine Frau stand vor ihm. Schön war Bella Markowitz am Sonntagmorgen, noch schöner als am Morgen der anderen Wochentage. Kalt war es draußen, und Jakob Markowitz schloss hinter ihr hastig die Tür. Sogleich merkte er, dass die Kälte ins Wohnzimmer eingedrungen war. Da zündete Jakob Markowitz den Petroleumofen an und dachte, der würde ihnen Wärme spenden. Er irrte. Von dem Augenblick, in dem Bella Markowitz Jakob Markowitz’ Haus betreten hatte, wurde es dort nicht mehr warm.
9
L ang und hart war Bella Markowitz’ Krieg gegen Jakob Markowitz. Wenn dieser Krieg keine Berühmtheit erlangte, dann nicht, weil es ihm an Gefechten auf Leben und Tod, an ausgeklügelten Manövern oder bitteren Opfern gemangelt hätte. Bella Markowitz hatte einfach das Pech, dass ihr Krieg zu einer Zeit stattfand, als alle Welt kämpfte. Die Juden in Europa kämpften um ihr Leben. Die Franzosen um den letzten Rest ihrer Ehre. Die Russen um ihre eisigen Tundren. Die Briten um ihr Imperium. Und als all diese kämpften, kämpften auch die anderen – die Chinesen und die Japaner und die Inder und die Afrikaner. Gleichzeitig gingen die normalen Kriege weiter: Die Wölfe kämpften, um Beute zu machen, die Hasen, um nicht erbeutet zu werden. Größere Fische fraßen kleinere Fische. Raubvögel warfen ihren Schatten über Feldmäuse. Die ganze Zeit kämpfte Bella Markowitz weiter um ihre Freiheit, und fand dieser Krieg auch keinerlei Niederschlag in den offiziellen Quellen – kein Wort davon in der Presse, auch nicht in den Naturkundebüchern –, verfolgten ihn die Dorfbewohner doch höchst gespannt. »Hast du gehört, gestern hat sie wieder nicht zu Hause geschlafen«, »Bis Viertel vor drei hat das Licht bei ihr gebrannt«, »Sie bringt ihn noch um mit ihrer Flatterhaftigkeit«, »Und was er ihr angetan hat? Noch viel schlimmer!«
Die Dorfbewohner waren entsetzt über das, was Jakob Markowitz Bella Markowitz angetan hatte, so entsetzt, dass sie die Geschichte keine Minute ruhen ließen. Wenn er ihnen auf der Straße begegnete, schüttelten sie missbilligend den Kopf, und wenn sie ihn auf dem Feld erblickten, schnalzten sie mit der Zunge. Kam das Gespräch am Tisch zum Erliegen, brauchte man bloß seinen Namen zu erwähnen, und schon erhitzten sich alle. Gerieten zwei Bauern in eine heftige Debatte, die in Streit auszuarten drohte, überlegte jeder, wie er Jakob Markowitz ins Gespräch einflechten könnte, und schon waren sie sich wieder einig im Rügen und Zungenschnalzen. Jakob Markowitz hatte dem Dorf eine große Wohltat erwiesen, als er Bella Markowitz die Scheidung verweigerte. So grauenhaft war diese Tat, dass die Dorfbewohner ihn bloß anzuschauen brauchten, um sich rein und unschuldig zu fühlen.
Auch Bella Markowitz schauten sie gern an, wenn auch aus anderen Gründen. Obwohl sie sie vor der verweigerten Scheidung nicht gekannt hatten, konnten sie sich vorstellen, wie diese Schönheit auf sie gewirkt hätte, als Bella noch frei war. Die Sehnsucht der Männer und die Eifersucht der Frauen hätten denen der Schiffspassagiere sicher in nichts nachgestanden, denn wie das Schiff hatte auch die Moschawa in vieler Hinsicht Inselcharakter. O glückliches Europa, das groß genug war, eine Schönheit wie die von Bella Markowitz aufzunehmen. Aber Palästina war klein und die Moschawa noch kleiner. Wäre Bella dort ledig angekommen, hätten die Männer sie geliebt und die Frauen sie gehasst. Doch da sie anders eingezogen war, ein herrliches Lebewesen hinter Schloss und Riegel, empfanden die Männer Zuneigung und die Frauen Mitleid. Zuneigung und Mitleid sind passende Gefühle für ein kleines Dorf. Die Götter straften Bella Markowitz endlich wegen ihrer Schönheit, und nun konnten die Menschen diese ertragen.
Zum ersten Mal im Leben hatte sie Freundinnen. Jeden Tag kam Sonia mit Geschenken an. Sie brachte Muscheln aus dem Meer (du brauchst bloß eine anzufassen, und schon spürst du Salzgeschmack im Mund und Wellenrauschen in den Ohren) und ein Lämmchen aus dem Stall (dem Bella die Wange an die feuchte Nase hielt, weinend, weil ihr dabei der weiche, schwarze Samt aus früherer Zeit einfiel), und ein ofenwarmes, leicht angesengtes Brot, das sie auf der Stelle gemeinsam verspeisten, unter herzlichem Lachen über ihren Heißhunger. Nach einem Monat
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