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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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Mannes war. Vom ersten Tag an merkten diese, dass Jakob Markowitz anders war. Obwohl alle die gleichen Uniformen trugen, konnten sie selbst hier noch die Fremdheit des stillen Mannes sehen, ja förmlich riechen. In den langen Nächten, wenn das Lagerfeuer verlosch und die alten Geschichten zur Genüge durchgekaut waren, erkühnte sich irgendwer, Jakob Markowitz das Schreibheft wegzureißen. Dann drängten sich alle zusammen, um zu hören, was er seiner Geliebten diesmal sagen wollte, untermalten seine Worte mit allerlei stöhnenden und wimmernden Lauten, dass man beim Zuhören rote Ohren bekam. Jakob Markowitz bat und bettelte, stampfte mit den Füßen und schrie aus vollem Hals, aber all das befeuerte den Spott der Männer nur noch mehr, wie Öl im Feuer.
    Eines Abends suchte Jakob Markowitz sein Schreibheft, doch es war weg. Aus den Zelten drang kein Laut, und gerade deshalb wusste er sofort, dass die Kameraden die Hand im Spiel hatten. Diese Stille über dem ganzen Lager war wie die Stille der Truppen vor dem ersten Schuss. Lauernde Augen spähten zu ihm hinüber. Was würde er tun? Würde er in fieberhafter Suche von einer Ecke zur anderen laufen? Oder erstarren und in flehentliches Wehklagen ausbrechen, der beste Zündstoff, um eine gelangweilte Bande anzufeuern? Aber Jakob Markowitz tat nichts dergleichen. Die Minuten vergingen, und er blieb stehen, ohne einen Ton von sich zu geben. Die Spannung der Kameraden versiegte in Langeweile. Heute Nacht würden sie sich einen anderen Zeitvertreib suchen müssen. Doch als sie noch überlegten, wie sie den dicken Rekruten vom benachbarten Zug im Schlaf fesseln könnten, hörten sie das Klicken eines gespannten Gewehrs. Jakob Markowitz hob die Waffe und richtete sie auf die Büsche, in denen die Burschen sich versteckten.
    »Das Schreibheft. Jetzt.«
    Die meisten Menschen können mühelos verschiedene Stimmen unterscheiden. Erheblich weniger kennen die verschiedenen Arten der Stille. Jakob Markowitz’ Vorgesetzter war einer von ihnen. Er unterschied nicht nur mühelos die Schreie des Eichelhähers vom Balzen des Uhus, sondern erkannte auch den riesigen Abstand zwischen lächelndem Schweigen und angstvoller Stummheit. Solange die jungen Männer Jakob Markowitz foppten, lag der Anführer in seinem Zelt und hörte nichts. Aber als Jakob Markowitz sein Gewehr spannte, spürte er die dicke Luft draußen. Er lief mit gezückter Waffe hinaus und stand dann diesem Rekruten gegenüber, dessen Namen er sich nicht merken konnte.
    »Was machst du da, Soldat?«
    »Mein Schreibheft ist verschwunden, Chef. Ich will es wiederhaben.«
    »Und dazu drohst du den Büschen mit der Waffe?«
    »Nicht den Büschen. Den Menschen dahinter.«
    Der Anführer starrte angestrengt ins Gebüsch, sah aber nichts. Die Männer, die vorher schon aus Angst vor Markowitz verstummt waren, wagten jetzt aus Angst vor dem Vorgesetzten kaum noch zu atmen. »Und woher weißt du, dass dort Menschen sind, Soldat?«
    »Ich spüre sie. Ich spüre ihren Spott durch die Blätter.«
    Der Offizier sah Jakob Markowitz prüfend an, sagte sich im Stillen, dass ungewöhnliche Begabungen zuweilen in Körpern höchst gewöhnlicher Menschen schlummerten. »Kommt da raus und gebt ihm das Heft zurück, ihr Hyänen. Und du kommst zu mir – sobald du aufgeschrieben hast, was du schreiben wolltest –, ich will mit dir reden.«
    Jakob Markowitz schrieb hastig und verließ dann das Zelt, um den Vorgesetzten aufzusuchen. Das Heft ließ er sichtbar auf seinem Lager liegen, als wolle er die Soldaten herausfordern, sich doch wieder daranzuwagen. Als er bei dem Vorgesetzten eintrat, musterte der ihn lange und ziemlich enttäuscht. Mit der Waffe auf die Büsche gerichtet war die glühende Hitze unter der Uniform des Soldaten spürbar gewesen, die die Büsche zu entzünden drohte. Jakob Markowitz hatte schier gefunkelt vor Zorn. Aber jetzt, nachdem er seinem Herzen auf den Heftseiten hatte Luft machen dürfen, war seine Wut verebbt, und dem Betrachter blieb nichts als sein aschgraues Gesicht. Jakob Markowitz war wieder das, was er zu Friedenszeiten war: ein einfacher, unscheinbarer Mann mit verlegenem Auftreten und wässrigen Augen.
    »Dir ist sicher klar, dass ich dich bestrafen könnte. Du hast die Waffe nicht zur Bedrohung unserer eigenen Kämpfer erhalten.« Jakob Markowitz zögerte mit der Antwort, und der Vorgesetzte fürchtete schon, seine Sinne könnten ihn getäuscht haben. Er war entschlossen, den Rekruten zu bestrafen, falls er

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