Eine Nacht, Markowitz
Weinstock. Und die Aprikose war eine Aprikose.« Die Vorgesetzten begannen sich im Stillen zu fragen, ob Jakob Markowitz überhaupt für den Krieg taugte. Ihre Augen wanderten wieder zu der Frau. Eine schöne Narrenrede hatte der Mann gehalten, aber ein Blick auf Bella Markowitz genügte, um sein Schauspiel zu erkennen. Nicht wegen der Oliven und der Rebstöcke und der Aprikosen klammerte sich dieser Mann an seine Scholle und verleugnete seine hebräische Identität. War das denn die Möglichkeit? Während Kämpfer sich Schützengräben gruben, sollte er sich im Leib seiner Frau vergraben? Er kam jetzt auf der Stelle mit, oder er konnte für sich und seine Familie eine andere Bleibe suchen.
In diesem Augenblick hörte Zwi Markowitz auf, mit dem Haar seiner Mutter zu spielen, und begann laut zu weinen. Jakob Markowitz warf einen Blick auf das weinende Kind und sagte: »Ich komme mit.« Er ging ins Haus, um seine Sachen zu packen. Die Vorgesetzten blieben an der Tür bei Mutter und Kind. Als sie noch einen verstohlenen Blick auf Bella Markowitz wagten, verstanden sie die Welt nicht mehr. Das goldene Haar hatte ein gewöhnliches Blond angenommen. Die Weizenähren waren nichts als lockige Strähnen, ziemlich unfrisiert. Die Augen funkelten immer noch im Dunkeln, aber kaum anders als bei einer Katze oder einer Kuh, wenn man ihnen bei Nacht begegnete. Kurz gesagt: Sobald Jakob Markowitz die Augen von Bella Markowitz wandte, verwandelte sie sich von einer Lichtgestalt in eine Frau von Fleisch und Blut. Jakob Markowitz kam wieder heraus, den Rucksack auf dem Rücken. Er küsste den Kleinen auf den Schädel, und der hörte auf zu weinen und sah ihn verblüfft an. Nie zuvor hatte Jakob Markowitz ihm einen Kuss gegeben. Die trockenen, aufgesprungenen Lippen berührten den Kopf knapp oberhalb der Stirn und drückten ihm Wärme und Sehnsucht auf.
Nun wandte sich Jakob Markowitz seiner Frau zu. Die Vorgesetzten hielten den Atem an: Es war, als bringe jemand ein brennendes Streichholz an ein bereits erloschenes Feuer und entzünde es mit einem Schlag. Denn jetzt war Bella wieder die schönste Frau, die sie je gesehen hatten. Wie konnte es angehen, dass ihr Haar ihnen zuvor gewöhnlich erschienen war, wo jetzt doch eindeutig von reinsten Goldfäden – nach Meinung des einen Anführers – oder einer triefenden Honigwabe – nach der des zweiten Anführers – die Rede war. Als sie dieser Frage noch nachsannen, tat Jakob Markowitz einen Schritt auf Bella Markowitz zu. Die Vorgesetzten wandten die Augen ab. Ein Mann hat das Recht, sich unbeobachtet von Frau und Sohn zu verabschieden, auch wenn er ein Fahnenflüchtiger ist. Deshalb richteten sie den Blick zu Boden, ließen Mann und Frau einander um den Hals fallen, vielleicht auch Mund auf Mund drücken, trockene, aufgesprungene Lippen auf volle, rote. Aber nichts von alledem geschah bei Jakob Markowitz und Bella Markowitz. Lange standen sie da und sahen einander an, und vielleicht hätten sie sich noch minutenlang weiter angeschaut, wären die Vorgesetzten nicht der Ansicht gewesen, dass jeder rührende Abschied ein Ende haben müsse, weswegen sie sich hörbar räusperten. Jakob Markowitz drehte sich zu ihnen um und ging los. Jeder Schritt, den er sich vom Haus entfernte, machte ihn leichter, weniger konkret. Der Schwerpunkt seines Seins, die Besessenheit, die ihm in den Knochen saß, blieb zurück in dem Steinhaus, umgeben von Olivenbäumen und Rebstöcken und ein paar Aprikosenbäumen.
So gelangte Jakob Markowitz nach Galiläa und wurde immer nichtiger. Er kämpfte sinnlose Gefechte bei Tag und schrieb sinnlose Briefe bei Nacht. Bella antwortete ihm nie, las die Briefe aber mit staunenden Augen, wie jemand, der dem Gesang der Vögel lauscht, ohne ihn zu verstehen. Jakob Markowitz schrieb nichts vom Krieg, und das nicht etwa, um Bella davor zu schützen. Er begegnete selbst nie dem Krieg, obwohl er an jedem Tag an den Kämpfen teilnahm. Der Krieg berührte ihn einfach nicht, denn sein ganzes Sein war auf Bella ausgerichtet. Menschen seines Schlages laufen wie ein Käfer über die Erde des Landes, und es ist ihnen egal, welche Flagge darüber weht. Nun war Jakob Markowitz natürlich kein Käfer, sondern ein hebräischer Bauer, noch dazu einer, der geschmuggelte Waffen und unzählige Heldentaten im Tornister mitführte. Und doch war er wie ein Erwachender, dem noch die Rufe seiner Traumgebilde in den Ohren klingen, ohne dass er wüsste, ob er ihnen lauschen soll oder nicht. Aus der
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