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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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es wagen sollte, sich für sein Handeln zu entschuldigen. Doch dann sah Jakob Markowitz ihm gerade in die Augen und erwiderte: »Ich würde es wieder tun.« Zu Markowitz’ Überraschung lächelte der Anführer bei dieser Antwort und forderte ihn mit einem freundlichen Wink zum Sitzen auf. »Glühende Begeisterung, Soldat. Die hast du. Das war mir zwar bisher entgangen, aber heute Nacht war es unverkennbar. Mit solcher Begeisterung wie deiner, nur mit deren Hilfe, werden wir den Kampf um dieses Land gewinnen.«
    Jakob Markowitz’ Vorgesetzten rührte es überhaupt nicht, dass die glühende Begeisterung, die er so schätzte, wegen einer Frau entbrannt war und nicht wegen eines Stücks Heimatland. Der Ursprung des Feuers war ihm egal, solange er es für seine Zwecke einspannen konnte. Im Laufe seiner Militärkarriere hatte er sich überall Träumer und Fantasten herausgegriffen. Seine Kollegen hoben die Brauen, aber er wusste sehr wohl, dass seine Besessenen, trotz ihres lächerlichen Aussehens, bei richtigem Einsatz eine all die anderen Truppen übertreffende Eliteeinheit bildeten. Außer Markowitz hatte er sich einen Spielsüchtigen ausgesucht, der vor seinen amerikanischen Gläubigern nach Palästina geflüchtet war. Ob der Spieler Jude war, blieb zweifelhaft, das Feuer jedoch, das beim Anblick von Würfeln in seinen Augen entflammte, veranlasste den Anführer, ihn in seiner Nähe zu behalten. Noch vor der Begegnung mit dem Spieler hatte er einen jungen Lahmenden in seine Spezialeinheit aufgenommen, den alle für kampfuntauglich hielten. Er entstammte einer frommen Familie aus Safed und war stolz, dass seine Vorfahren niemals das Land verlassen hatten. Nachdem der Erzengel Uriel ihm im Traum erschienen war, mit der Anweisung, sich den Zionisten anzuschließen, hatte er seinem Haus und seiner Stadt Lebewohl gesagt und war den ganzen Weg zum Hauptkommando in der Jesreelebene gehumpelt. Der Rekrutierungsbeauftragte hatte ihn ausgelacht, aber der Anführer hatte nach einem Blick in seine Augen befohlen, ihm eine Uniform herauszusuchen. Zum Schluss nahm er sich einen Händler aus Jaffa, einen vierschrötigen Tunesier, der Besitz und Familie an den Alkohol verloren hatte. Der Anführer traf ihn, als er gerade einen Schankwirt zusammenschlug, der sich weigerte, ihm ein weiteres Glas auszuschenken. Der Offizier bezahlte das Glas und verpflichtete sich, noch viele weitere zu bezahlen, wenn der Händler nur mitkommen wolle.
    Markowitz traf die drei kurz nach seinem Gespräch mit dem Vorgesetzten. Fortan verbrachte er seine Zeit in einem separaten Zelt, bei dem Spielsüchtigen, dem lahmen Träumer und dem Trinker mit der eisernen Faust. Jetzt brauchte er sich keine Sorgen mehr um sein Heft zu machen. Die drei warfen nur einen Blick darauf und begriffen, dass Jakob Markowitz’ Leidenschaft darin ruhte. Und die achteten sie genauso hoch wie ihre eigenen Leidenschaften. Jakob Markowitz war solche Hochachtung nicht gewohnt. Wie das Zirpen der Grillen bei Nacht oder das ständige Plätschern des kleinen Wasserlaufs waren die Vorwürfe über sein Verhalten gegenüber Bella in die alltägliche Geräuschkulisse eingegangen, so lange begleiteten sie ihn schon. Doch hier in diesem Zelt, das der Vorgesetzte ihm zugewiesen hatte, gab es keine Spur von Vorwurf, kein Wort des Tadels. Seine Zeltkameraden schenkten ihm Nähe, sogar Freundschaft. Zum ersten Mal im Leben erfuhr Jakob Markowitz das süße Gefühl, einer Gruppe anzugehören.
    Nachts, wenn das Lachen und Singen aus den anderen Zelten zu ihnen herüberschallte, zuckten die vier abfällig die Achseln. Dann begann einer von ihnen begeistert von seiner Leidenschaft zu erzählen, und die anderen lauschten aufmerksam und mit großem Respekt. Jakob Markowitz beschrieb Bellas Augen, der Jaffaer Händler lobte die samtige Weiche des Biers, der Spieler besang die Ecken und Kanten des Würfels, und der Lahme pries den Erzengel Uriel. Sobald einer von ihnen seine Rede beendete – nicht weil er ermüdet wäre, behüte, denn er hätte seine Leidenschaft ewig weiter ausmalen können, sondern aus Respekt vor den anderen –, fuhr der Nächste fort. Oft blieben sie wach bis zum ersten Morgenlicht. Dann lächelte der Lahme zufrieden, rückte seine Kippa auf dem Kopf zurecht und zitierte die Pessach-Haggada: »Damit du denkst an den Tag deines Auszugs aus Ägypten alle Tage deines Lebens. ›Die Tage deines Lebens‹ hieße bloß: des Tages; ›alle Tage deines Lebens‹ schließt auch die

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