Eine Nacht, Markowitz
Einnahme nichts anderes war als Bellas Weigerung, und deshalb küsste er den Lahmen auf die Stirn und hastete vorwärts, ins Gefecht. Kurz vor den Mauern stolperte er über die Leiche des Spielers, der aufgrund falscher statistischer Berechnung nicht gedacht hatte, der Scharfschütze, der den Lahmen getroffen hatte, würde auch ihn treffen. Jakob Markowitz drückte seinem Kameraden die Augen zu, die trotz ihres leeren Blicks tiefste Befriedigung ausdrückten, und rannte weiter. Jetzt war er bereits in der Festung selbst, kämpfte sich zwischen Arabern vor. Da sah er den Trinker mit einem Bajonett im Herzen auf dem Boden liegen und sein Blut wie roten Wein vergießen.
Jakob Markowitz zog das Bajonett aus dem Leichnam seines Kameraden, setzte es wendig ein, und weitere Gestalten fanden ihr Ende. Nachdem er einige niedergemacht hatte, hörte Jakob Markowitz die Stimme des Anführers und meinte, vom Pfeifen einer verirrten Kugel taub geworden zu sein. Aber dann schrie der Anführer wieder das Wort »Rückzug«, und Jakob Markowitz verzog traurig das Gesicht.
Nicht wegen seiner toten Kameraden wurde Jakob Markowitz traurig, sondern wegen des Anführers, der im Ringen zwischen der Stimme der Vernunft und der Stimme der Leidenschaft gefallen war. In diesem Augenblick dachte Jakob Markowitz an Bella, die jetzt friedlich in dem steinernen Haus im Dorf schlief. Doch statt auf dieses Bild hin eiligst das Schlachtfeld zu verlassen, packte er die Waffe fester, als bekäme er Bella damit fester in den Griff. Die anderen Kämpfer hatten längst den Rückzug angetreten, aber Jakob Markowitz lud seine Waffe nach, ein Magazin nach dem anderen, schoss wie wahnsinnig in die Dunkelheit. Beim Anblick von Jakob Markowitz’ Wahnsinn brach der des Anführers wieder durch. Ein paar Minuten standen sie Rücken an Rücken, der kräftige, hochgewachsene Anführer und der glänzend durchschnittliche Jakob Markowitz, feuerten lächelnd auf die Soldaten des Feindes. So ruhig waren sie, so schön und selbstsicher, dass sie, falls ein Maler oder Fotograf sie im Bild festgehalten hätte, sicher auf Briefmarken gelandet wären. Doch leider befand sich zu diesem Zeitpunkt kein Maler oder Fotograf in der Festung, und selbst wenn, wäre er höchst wahrscheinlich tot oder verwundet gewesen, denn das war der Zustand der meisten dort bei Tagesanbruch.
Die ersten Sonnenstrahlen verblüfften Jakob Markowitz’ Vorgesetzten. Keine Sekunde hatte er geglaubt, den neuen Tag zu erleben. Als fast fünf Stunden zuvor der aufgehende Mond sie verraten hatte, wusste er bereits, dass der Kampf verloren war. Er selbst war ohne jedes Zögern vorgestürmt, aber die Kämpfer hatte er zum Rückzug aufgerufen, als offensichtlich zu viele von ihnen am Boden lagen und seine Befehle schon nicht mehr befolgen konnten. Aber auch beim Befehl zum Rückzug wusste er, dass er selbst nicht von der Festung absteigen würde. Nicht den Kampf suchte er mehr, sondern einen Dolch, in den er sich, wie einst König Saul, stürzen könnte. Doch dann sah er Jakob Markowitz in seinem Wahn und glühte wieder vor Leidenschaft. Nun, Rücken an Rücken mit Jakob Markowitz, das Gesicht den Bergen zugewandt und ins Dunkle schießend, erlebte er die schönsten Momente seines Lebens. Die sollte das Sonnenlicht ihm nicht mit dem Anblick der nach wie vor über der Festung wehenden feindlichen Fahne besudeln. Wer den Berg erklommen hatte, konnte nicht mehr ins Tal absteigen. Einen Augenblick noch spürte Jakob Markowitz den Körper des Vorgesetzten an seinem Rücken, dann rannte der andere vorwärts, geradewegs in die Feuerlinie des Feindes. Jakob Markowitz spürte den Körper des Anführers von seinem Körper ablassen, blickte ihm aber nicht nach. Er wusste sehr wohl, was er vorhatte. Er verschoss noch vier Patronen, eine für jeden seiner Kameraden, die auf dem Berg gefallen waren, dann setzte er die Waffe ab und wandte sich zum Abstieg. Er kam am Leichnam des Anführers vorbei, der mit dem Gesicht auf der Erde lag. Das Pfeifen der Kugeln hinter sich hielt ihn davon ab, ihn auf den Rücken zu drehen, aber er wusste sehr wohl, dass er ein Lächeln auf dem toten Gesicht gesehen hätte.
4
A ls Jakob Markowitz ins Lager zurückkehrte, waren seine Beine müde, und sein Herz war schwer. Trotzdem konnte er nicht einschlafen. Stundenlang lag er auf seiner Matratze im leeren Zelt, aber es half nichts. Die Wehklage der anderen Matratzen klang ihm in den Ohren und ließ ihm keine Ruhe. Die Lagerstatt des
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