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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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Nächte ein.« Manchmal kam der Vorgesetzte auf Besuch ins Zelt und sah hochzufrieden, wie ein Wahn den anderen nährte. Die vier unterhielten sich nett mit ihm, warteten jedoch sehnlich auf seinen Weggang. Seit sie einander gefunden hatten, hielten sie es für sinnlos, ihre Zeit mit Leuten zu vergeuden, deren Seele nicht vor Leidenschaft brannte. Keine Minute ahnten sie, dass der Anführer, unter Uniform und Rangabzeichen, einer der Ihren war. Er glich einem Vulkan, den eine grüne Wiese bedeckt, während unter Halmen und Fels die Lava brodelt.
    Bis der Vulkan eines Tages ausbrach. Der Spieler erzählte gerade, wie er sein Haus einem grausamen Gläubiger überlassen hatte, als der Anführer mit flammenden Augen hereinstürmte. »Heute Nacht!«, brüllte er.
    »Heute Nacht?«, fragte Jakob Markowitz verwundert.
    »Heute Nacht. Wir erobern die Festung heute Nacht.«
    Nun erzählte der Vorgesetzte von seiner Leidenschaft: einer stark bewehrten Festung, die die Jesreelebene im Westen beherrschte. Zehn Jahre schon poche er im Geist an ihre Mauern, ohne Einlass zu erhalten. Fast habe er sich schon daran gewöhnt, sie von fern zu begehren. Doch jetzt hätten die Briten sie den Arabern übergeben, und das werde er auf keinen Fall hinnehmen. Schon sieben Tage lang habe er nicht geschlafen, der Hilfeschrei des Steins, der unter den Sohlen des Feindes vergewaltigt werde, klinge ihm in den Ohren. Die Siegeschancen seien gering, zugegeben. Aber er wolle lieber die Leiden des Scheiterns als die Schmach der Resignation ertragen. Kaum hatte der Anführer seine Rede beendet, eilte der Lahme herbei, um ihn zu umarmen. Der Jaffaer Trinker wischte sich heimlich eine Träne ab, der Spieler wimmerte, ohne sich zu schämen. »Wir gehen mit dir«, sagte Jakob Markowitz, und die anderen schlossen sich einstimmig an. Es ist eine hohe Ehre, im Dienst einer solch großen Leidenschaft zu kämpfen, selbst wenn es nicht die eigene Leidenschaft ist.
    Sie starteten den Angriff auf die Festung spät nachts, drangen im Schutz der Dunkelheit vor. Direkt hinter dem Anführer marschierten schwitzend Jakob Markowitz und der Spieler, die Hitze des Anführers brannte ihnen im Gesicht. Kurz hinter ihnen ging der Trinker, auf dem Rücken den dankbaren Lahmen und vielleicht auch den Erzengel Uriel, der nach Behauptung des Lahmen auf seinen Schultern ruhte. Die übrigen Soldaten marschierten hinter den fünfen, die Waffen in den zitternden Händen. Noch während der Instruktionen, fern im sicheren Tal, hatten sie zu tuscheln begonnen: Der Höhenvorteil der Araber und der Waffenmangel ließen nichts Gutes ahnen.
    Als der Mond silbern und verräterisch aufging, überflutete helles Licht die Gesichter von Jakob Markowitz und seinen drei Kameraden. Sie sahen ihn liebevoll an, den Mond. Er verdankte ja, gleich ihnen, sein Dasein einer anderen Lichtquelle. Der Mond beschien unverwandt die vorrückenden Truppen, und das Pfeifen der Kugeln ließ nicht auf sich warten. Jakob Markowitz war nicht überrascht. Er hatte vom ersten Augenblick an gewusst, dass sie entdeckt werden würden. Und trotzdem hätte er willig seine Worte im Zelt wiederholt, hätte sich mit ganzem Herzen wieder diesem Feldzug angeschlossen, der so sinnlos war, wie er allem Sinn verlieh.
    Die glühende Begeisterung des vorpreschenden Anführers erleuchtete Jakob Markowitz’ Gesicht, aber die Angst der Kämpfer hinter ihm blies ihm eisig in den Rücken. Mehr als das Stampfen bergauf stürmender Füße hörte er eilig davonlaufende Schritte. Viele wichen zurück. Kurz zuvor, als der Mond das wahnverzerrte Gesicht des Anführers beschienen hatte, war unter den Kämpfern das Gerücht umgegangen, dass er den Verstand verloren habe. Einige blieben bei ihm, in der irrigen Annahme, nicht der Wahn der Leidenschaft, sondern die Begeisterung des Feldherrn brodle in seinem Innern. Andere flohen – und suchten es später ihr Leben lang zu rechtfertigen. Doch Jakob Markowitz und seine Kameraden stürmten lächelnden Gesichts voran, da jeder sich die Festung als Verkörperung seiner eigenen Leidenschaft vorstellte. Dem Trinker standen die Mauern wie ein riesiger Humpen süßen Biers vor Augen. Dem Spieler war die wuchtige Festung nichts als ein riesiger Würfel, den ihm der Himmel zugeworfen hatte. Der Lahme sah den Erzengel Uriel vom Wachturm herabschauen und fiel blutüberströmt um, als der Erzengel Uriel ihn mühelos niederschoss. Jakob Markowitz verstand bestens, dass die Weigerung der Festung gegen ihre

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