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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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Habseligkeiten zusammenpackten und sich auf den großen Treck begaben. Er hatte die glühende Sonne gesehen. Eine Frau, die ein totes Kind zu stillen versuchte. Und als er der Frau und all den anderen Arabern in die Augen sah, war es, als blickten ihm seine eigenen Augen aus dem Spiegel entgegen. Denn er kannte diesen Blick. Kannte den Blick eines Menschen, der das, was er über alles liebte, an einen anderen Menschen verloren hatte. Wenn er den von Schweiß und Limonade triefenden Mann anblickte, erkannte er in ihm nicht die heimischen Landschaften vor Augen, nicht das Meer und nicht den Kinneret-See. Als er dem Mann antwortete, sah er nur Sonias Augen, die etwas weit auseinanderstanden, und Feinbergs Hand, die den Honigbauch streichelte, auf den er seinen Kopf gelegt hatte. Sah es und sagte: »Wie sollte das Land wohl Ruhe haben.«
    Ohne von jemandem Abschied zu nehmen, das Stück Mohnkuchen noch in der Hand, verließ der Irgun-Vizechef das Haus. Die Gäste blickten ihm nach und zuckten die Achseln. Ein komischer Mann. Töten konnte er gut, aber ein normales Gespräch überforderte ihn absolut. Während sie sich ein weiteres Glas Limonade genehmigten, trabte der Irgun-Vizechef nach Jaffa. Er musste herausfinden, ob es stimmte, ob der Blick eines Arabers, der das Land vor sich sah, dem Blick eines Mannes glich, der eine geliebte Frau vor Augen hatte. In Jaffa musste er lange die Straßen ablaufen, bis er einen von ihnen fand. Er packte ihn an der Gurgel und drückte ihn an die Wand. Unter der blassen Laterne sah er ihm lange in die Augen. Hätte er nur Angst darin gefunden. Aber der Araber erwiderte dem Irgun-Vizechef einen anderen, wohlbekannten Blick, und da nahm er seine Hand weg und ließ ihn laufen. Jetzt wusste er: Wie er Sonias Orangenduft auf Schritt und Tritt riechen würde, so würden diese Menschen ihre Orangen riechen, die Zitrusfrüchte und die Oliven und die Weinstöcke, die sie über Generationen besessen hatten.
    Die ganze Nacht wanderte der Irgun-Vizechef durch die Straßen von Jaffa. Die Dunkelheit hielt so lange an, und die Straßen waren so verwinkelt, dass er kurz dachte, die Sonne sei auf ewig untergegangen, und er würde für immer durch die engen Gassen streifen, mal rechts, mal links abbiegen und hinter der Ecke dieselbe Dunkelheit vorfinden – und danach die nächste Ecke. Bis er nach einer Biegung plötzlich die Sonne erblickte. Bei deren Anblick wusste er, dass der Krieg wirklich zu Ende war. Doch obwohl er sich hätte freuen sollen, erschrak er zutiefst. Zum ersten Mal im Leben erschrak er. Der Sonnenschein erleuchtete die Pflastersteine, und die ganze Straße war in Gold getaucht. Es war still. Keine Mörsergranate, kein Maschinengewehrfeuer, der Himmel ruhte vom Heulen der Flugzeuge und Sirenen. Kommandeure bellten keine Befehle, Soldaten murmelten keine Gebete. Und in dieser Stille, dieser erschreckenden, furchtbaren Stille, konnte der Irgun-Vizechef das hören, was der Krieg gütig übertönt hatte: Seev Feinberg, der ihm erzählte, dass Sonia schwanger war.

9
    A uf der Suche nach den Familien seiner toten Kamera- den gelangte Jakob Markowitz als Erstes nach Safed. Er verbrachte ein paar Tage bei den Angehörigen des Lahmen, erzählte ihnen, wie er gekämpft hatte, den Erzengel Uriel stets vor Augen, und wie er gestorben war, das Lied Gottes auf den Lippen. Wenn sie beteten, betete er mit ihnen, und wenn sie bei Tisch die Segenssprüche sprachen, sprach er sie mit, und als die Zeit zum Aufbruch kam, merkte er, wie viel Trost diese Riten und Regeln ihm spendeten. Wie er zu Hause Bücher über den Anbau von Zitrusfrüchten stehen hatte, so besaßen diese Leute Bücher zur Erbauung des Menschen – wie er essen und was er trinken sollte und wie man ihn pflegte, wenn er Schmerzen hatte.
    Als Nächstes begab er sich zum Haus des Jaffaer Händlers, wo bei seinem Eintreffen ein Glas am Türsturz zerschellte. Jakob Markowitz überlegte – hatte man ihm das Glas an den Kopf werfen wollen, aber nicht getroffen, oder empfingen die Hausbewohner ihre Gäste immer auf diese Art? Ein Olivenglas, das ihn am Bauch erwischte, machte deutlich, dass es kein Willkommensgruß gewesen war. Die Gattin des Jaffaer Händlers, eine hagere Frau mit eisernen Händen, bombardierte ihn wahllos mit Küchenutensilien und Lebensmitteln. Ehe Jakob Markowitz auch nur den Mund auftun konnte, hatte sie schon den halben Hausrat auf ihn geschleudert. Sogar eine Flasche alter Wein und ein ofenfrisch duftender Kuchen

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