Eine Nacht, Markowitz
Waffenbrüder waren wir. Wir haben gemeinsam gekämpft.« Jetzt wirkte der Mann mit der Jacke verwirrt und aufgeregt. Ehe Jakob Markowitz wusste, wie ihm geschah, hatte der andere ihn schon an der Gurgel gepackt und fest an die Kasinowand gedrückt. Kein Spieler hob die Augen. Jakob Markowitz rang nach Atem. Die knochigen Finger des Windjackenträgers umklammerten seinen Hals wie eine Zange. Violette und blaue Flecke tanzten ihm vor den Augen. Dahinter sah er plötzlich einen Goldring am Ringfinger des Mannes. Es war ein breiter Ring mit einem rautenförmigen Rubin. In seiner Benebelung erinnerte sich Jakob Markowitz an einen identischen Ring, den der amerikanische Spieler mit der zweifelhaften jüdischen Identität immer getragen hatte. Der Mann in der Jacke klebte das Gesicht an seins.
»Wie weiß ich, dass du tatsächlich ein Waffenbruder bist? Wie weiß ich, dass die Auskünfte, die ich dir gebe, ihm nicht schaden werden?«
Mit bebenden Lippen und letzten Kräften flüsterte Jakob Markowitz: »Nichts kann ihm mehr schaden.«
Der Mann in der Jacke ließ augenblicklich von seinem Hals ab. Als Jakob Markowitz wieder zu Atem gekommen war, blickte er sich um und sah den Mann mit dem eisernen Griff laut weinend am Nebentisch. Zaghaft trat Jakob Markowitz hinzu. Der Jackenträger schob den Stuhl neben sich zurück und gab Jakob Markowitz einen Wink, sich zu setzen. Jakob Markowitz zögerte kurz, griff sich an den schmerzenden Hals, nahm aber schließlich Platz.
»So ein Unschuldsengel wie er«, murmelte der Mann, »ein reiner und unschuldiger Engel.« Jakob Markowitz schwieg. Obwohl er den Spieler von Herzen gerngehabt hatte, hätte er ihn nicht unbedingt als »reinen und unschuldigen Engel« bezeichnet. »So süß, so rein«, murmelte der Mann weiter. Jakob Markowitz sah ihn unschlüssig an. Der gesunde Menschenverstand und sein schmerzender Hals rieten ihm, diesem trauernden Grobian schleunigst aus dem Weg zu gehen. Aber seine Freundespflicht und die natürliche Neugier hießen ihn bleiben. Schließlich wagte er zu fragen: »Hast du ihn schon bei seiner Ankunft aus Amerika gekannt?«
»Amerika? Sein süßer Fuß hat nie amerikanischen Boden betreten!«
»Wo war er denn dann her?«
»Aus Paris. André hat sich jeden Morgen unseres Zusammenlebens nach einem anständigen Croissant gesehnt.«
Jakob Markowitz strengte sich redlich an, das Puzzle zusammenzusetzen, das Rätsel des vermeintlich amerikanischen Spielers allein zu lösen. Schließlich gab er es auf. »Dann sag mir mal bitte, warum er sich als Amerikaner ausgegeben hat, wenn er doch in Frankreich geboren war?« »Um seine Gläubiger in Frankreich zu täuschen. Ein Rudel beutehungriger Wölfe, das waren sie!« Der Mann in der Windjacke hob den Kopf und haute wütend auf den Tisch. Das volle Glas fiel zu Boden und zerbrach mit einem Krachen, das Jakob Markowitz erschreckte, die übrigen Kasinobesucher aber kein bisschen rührte. »Diese Scheißkerle haben ihn durch ganz Europa verfolgt. Schließlich hat er eingesehen, dass er den Kontinent verlassen musste, wenn ihm sein Leben lieb war.«
»Warum ist er nicht nach Amerika geflüchtet?«
»Alle flüchten nach Amerika. Deshalb ist er ab nach Israel. Nur ein Verrückter flieht nach Israel.«
»Und warum hat er den Amerikaner gespielt?«
Der Mann zog einen Flachmann aus der Jacke und nahm einen kräftigen Schluck. »Hast du mal gespielt?«
»Nein.«
»Hast du mal irgendwas so sehr gewollt, dass du nicht davon ablassen konntest, und wenn es dich das Leben gekostet hätte?«
»Ja.«
Der Mann blickte Jakob Markowitz lange an und hielt ihm dann die Flasche hin. »Keine zwei Stunden nachdem er von Bord gegangen war, sobald seine Hand nicht mehr vor Seekrankheit zitterte, stand André schon am Würfeltisch. Du weißt ja, wie klein Palästina ist. Alle Sünden drängen sich hier in einer einzigen elenden Straße zusammen. In Windeseile hätte sich das Gerücht von dem französischen Spieler herumgesprochen, die Gläubiger wären angereist, und André hätte an der großen Moschee in Jaffa gebaumelt, mit einer Pistolenkugel im Kopf.«
»Deshalb hat er sich als Amerikaner ausgegeben?«
»Bevor er der Glücksgöttin ins Netz ging, war er mal Sprachlehrer. Ein vielversprechendes Talent. Seine Fächer waren Englisch und Altgriechisch. Als er beschloss, sich eine Tarngeschichte zuzulegen, wog er ab zwischen der Legende des amerikanischen Spielers und der eines griechischen Philosophen. Aber die Entscheidung fiel
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