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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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erklärt?«
    Sie schleuderte auch das Huhn nach ihm.
    Verwirrt und mit Essensresten übersät, suchte Jakob Markowitz das amerikanische Konsulat auf, um sich zu erkundigen, ob sein Kamerad, der Spieler, von dem man nicht wusste, ob er Jude war, vielleicht irgendwo Angehörige hatte. Fast zwei Stunden musste er dort warten, ehe man ihm beschied, dass sein Freund nicht existiere.
    »Was soll das heißen, er existiert nicht?«
    »Er findet sich nicht in den Akten.«
    »Dann suchen Sie ihn in anderen Akten.«
    »Es gibt keine anderen Akten.«
    Jakob Markowitz konnte noch so viel von der Heldenhaftigkeit des Spielers auf der Festung erzählen, es half ihm genauso wenig wie die ergreifenden Schilderungen seines edlen Todes. Der Mann möge ein Held gewesen sein, sagte der Konsul und rückte die Brille auf der Nase zurecht, aber trotzdem kein Amerikaner. Da Erkundungen bei weiteren Behörden ähnliche Ergebnisse zeitigten, fragte Jakob Markowitz sich langsam, ob es den amerikanischen Spieler mit der zweifelhaften jüdischen Identität tatsächlich gegeben hatte. Dass er ein Spieler gewesen war, stand außer Zweifel. Aber ein Amerikaner?
    Als Jakob Markowitz die offiziellen Stellen abgeschrieben hatte, beschloss er, es unter Menschen zu versuchen. Behörden sind zwar ordentlicher als Menschen, besser durchorganisiert, haben die persönlichen Daten in vielen Aktenordnern alphabetisch abgeheftet, und trotzdem kommt es ja vor, dass die Akten und die Organisation und die Ordnung die Existenz einer bestimmten Person nicht anerkennen, die Mitmenschen aber schon. Sie erinnern ihn nicht anhand der Nummer seines Personalausweises, seiner Anschrift und Postleitzahl, sondern anhand seines Körpergeruchs, seiner Sprechweise, der Art, wie er seinen Bekannten die Hand drückt oder seine Feinde verprügelt. Deshalb ließ Jakob Markowitz Konsuln und Beamte hinter sich und versuchte es in Spielhöllen. Wenn jemand den amerikanischen Spieler mit der zweifelhaften jüdischen Identität kannte, dann war er hier zu finden.
    Er hatte André geheißen. War in Frankreich geboren. Amerika hatte er nur von Bildern gekannt. Jakob Markowitz erfuhr dies von einem hochgewachsenen Mann mit abgetragener Windjacke, der seinen Namen nicht preisgeben wollte. Drei Nächte hatte er in Spielkasinos zugebracht, ehe er das Geringste über seinen Kameraden herausbekam. Die Spieler schienen taub zu sein für alles außer dem Klappern der Würfel. Sprach er einen an, bekam der Mann glasige Augen und hielt eisern den Mund. Frustriert und wütend sprang Jakob Markowitz schließlich auf einen wackligen Holzstuhl und schrie mit Donnerstimme: »Ich suche Auskünfte über meinen guten Freund. Er war ein Spieler, einer von euch. Ich hatte gedacht, er wäre Amerikaner. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Er hat mir gesagt, er hieße Jacob. Auch da bin ich mir nicht mehr sicher.«
    Die Spieler sahen Jakob Markowitz kurz an und spielten weiter. Der Holzstuhl knarrte unter seinem Gewicht, und Jakob Markowitz stieg schnell wieder herunter. Nun wandte sich ihm der großgewachsene Mann mit der abgeschabten Windjacke zu. An seinem Gesicht stach mehr das Fehlende als das Vorhandene ins Auge: In seinem Mund fehlten drei Zähne. Die Wangen waren eingefallen, die Augen völlig ausdruckslos.
    »Warum willst du was über den amerikanischen Spieler wissen?«
    Der misstrauische Unterton in der Stimme des Mannes brachte Jakob Markowitz endlich darauf, warum keiner der Spieler auf seine Fragen einging. Sicher hielten sie ihn für einen rabiaten Gläubiger, der hinter ihrem Kumpel her war. Deshalb beruhigte er den Jackenträger hastig. »Ehrlich, ich will nur Gutes.« Der Mann mit der Jacke fixierte ihn skeptisch. Jakob Markowitz hätte beinah den Grund seines Kommens verraten, wollte nach der Begegnung mit der Frau des Jaffaer Händlers jedoch lieber nicht noch einmal den Todesboten spielen. »Er ist ein guter Freund von mir.« Aber diese Worte beschwichtigten den Jackenträger nicht etwa, sondern erhitzten ihn erst recht. Der Mann wurde puterrot im Gesicht, seine Nasenflügel blähten sich bei jedem Atemzug. Jakob Markowitz trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
    »Ein guter Freund? Wenn ihr tatsächlich so eng befreundet wart, warum hat er dir dann nicht Namen und Herkunft genannt?« Der Mann musterte Jakob Markowitz feindselig. Seine eingefallenen Wangen blähten sich vor Wut. Plötzlich dämmerte Jakob Markowitz, dass sein Gegenüber eifersüchtig war. »Nein, du verstehst nicht.

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