Eine Nacht und tausend Geheimnisse
etwas anderes benutzt, oder irrte sie sich? Vielleicht hatte sie das genauso vergessen wie das, was sie empfunden hatte, als sie ihn auf die Wange geküsst hatte. Und das war erstaunlich, denn dieses Erlebnis, so unerfreulich es auch gewesen war, hatte sich fest in ihr Gedächtnis eingegraben. „Wie läuft das Geschäft?“, fragte sie, während er seine Serviette entfaltete.
„Nicht schlecht“, meinte er. „Trotz der miesen Wirtschaftslage. Und wie geht es deiner Branche?“
Aha, er wollte wohl erst Small Talk machen, bevor er auf das eigentliche Thema zu sprechen kam. Kein Problem. Sie war mit dieser Taktik vertraut. Zwei ihrer Schwestern waren genauso, während die anderen beiden sofort zur Sache kamen und sie mit viel zu vielen Informationen überschütteten, die sie erst einmal sortieren musste. „Sieht so aus, als sei ich ganz gut in meinem Job. Wahrscheinlich weil ich gelernt habe, mit mehreren Katastrophen zugleich fertig zu werden.“
Er zog kurz die Augenbrauen hoch. „Das ist ein Charakterzug, den wir gemeinsam haben.“
„Vermutlich weil wir beide zusammen mit unseren Geschwistern im Familienbetrieb gearbeitet haben. Aber jetzt bekomme ich wenigstens regelmäßig mein Gehalt, während ich früher oft mit tränenreichen Dankbarkeitsbekundungen zufrieden sein musste.“
Trent lachte. „Das muss hart gewesen sein. Woher kommst du? Entschuldige, du hast mir das sicher schon mal erzählt, aber ich habe es vergessen.“
Er erinnerte sich wohl wirklich an nichts mehr. „Aus South Carolina, aus einer sehr kleinen Stadt am Lake Marion, ungefähr auf der halben Strecke zwischen Charleston und Columbia.“
„Und deine Schwestern? Wohnen die immer noch da?“
„Ja, alle. Meine älteste Schwester Kelly war eine Zeit lang woanders, aber sie kam zurück.“ Weil sie von ihrem Geliebten verlassen worden und schwanger geworden war. Natürlich hatte man in dem kleinen Ort fürchterlich über diesen Skandal geklatscht, was für Kelly sehr schwierig gewesen war. Paige war es später nicht viel anders ergangen, obgleich sie nicht schwanger war. Denn dass David sie nach sieben Jahren sitzen gelassen hatte, war monatelang das Gesprächsthema des Ortes gewesen. Verständlich, dass sie den einfacheren Weg gewählt und nach Las Vegas geflohen war, um dem Klatsch zu entgehen. Und doch nahm sie sich diese Feigheit immer noch übel.
„Und die anderen Schwestern?“, hakte Trent nach.
„Jessica und Ashley leben höchstens dreißig Meilen von den Eltern entfernt. Wo Sammie mal landen wird, ist noch unklar, da sie gerade erst ihr Examen macht. Aber ich vermute beinahe, dass sie in der Grundschule unterrichten wird, auf die wir auch als Kinder gegangen sind. Irgendwie können wir McCauleys uns nur schwer von unserem Zuhause lösen. Auch ich hatte meinen ersten Job im Norden von Charleston, nur etwa eine Stunde von unserem Heimatort entfernt. Wie ist es bei dir? Arbeiten deine Geschwister noch bei Hightower Aviation?“
Er blickte auf sein Wasserglas. „Die meisten ja.“
„Wer denn nicht? Eine von deinen beiden Schwestern oder dein Bruder?“
„Meine neueste Schwester.“
Neugierig beugte sie sich vor. „Deine neueste Schwester? Was soll das denn heißen?“
„Hast du darüber nichts in der Klatschpresse gelesen? Wahrscheinlich bist du die einzige Person weit und breit, die nichts von dem Skandal weiß. Übrigens, was möchtest du essen? Hast du dir schon was ausgesucht?“
Wenn er glaubte, sie so schnell abspeisen zu können, dann irrte er sich gewaltig. „Ja, habe ich. Die Affären deiner Familie werden in der Presse breitgetreten? Da ich die einschlägigen Blätter nicht lese, habe ich keine Ahnung, worum es geht. Was ist denn passiert?
Wieder senkte Trent den Blick und spielte nervös mit seinem Glas. „Vor einigen Monaten machte meine Mutter uns mit Lauren bekannt, einer unehelichen Tochter, die sie vor fünfundzwanzig Jahren dem Vater überlassen hatte. Lauren hat eine Zeit lang für uns als Pilotin gearbeitet, ist aber kürzlich wieder nach Florida zurückgekehrt und hat die Firma ihres verstorbenen Vaters übernommen, die kleine Flugzeuge verchartert. Außerdem ist sie mit meinem besten Freund verlobt.“
„Na und? Das klingt so traurig. Magst du sie nicht?“
„Doch, das schon. Sie ist eine ausgezeichnete Pilotin, arbeitet hart und macht Gage glücklich.“
„Aber?“
Er zuckte kurz mit den Schultern und griff nach der Speisekarte. „Ich hasse Überraschungen. Und in diesem Jahr habe
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