Eine naechtliche Begegnung
Erste, das verschwindet.« Ein leiser, giftiger Laut entfuhr ihr. »Was auch immer sie wert ist.«
Für einen Moment sprachlos lehnte er sich zurück. »Wahrscheinlich hast du recht«, sagte er nach einer Weile. »Ich habe keine Ahnung, was Armut bedeutet.« Weiß Gott, er liebte den Wohlstand. Ihm widerstrebten all die Möglichkeiten, wie er sie beide ernähren könnte – der Gedanke, bleichgesichtigen Töchtern aus der Mittelschicht Klavierunterricht zu geben, war lächerlich.
»Aber ich würde einen Weg finden«, sprach er langsam weiter. »Wenn es wirklich so weit kommt, wird mir etwas einfallen.« Eine Million von Unsicherheiten können durch eine einzige Sicherheit aufgewogen werden, oder? »Du und ich …«, sagte er und verstummte. Er fand keine Worte, die sie davon überzeugen könnten, dass sie ihm hundert Gründe für Hoffnung gab, und noch tausend mehr für eine gemeinsame Zukunft. Solche Gedanken waren ihm neu, für ihn waren sie ebenso überraschend, wie sie für sie gewesen wären.
Aber als sie sich nun entfalteten, war er fasziniert von dem, was sie offenbarten. Vorher, als er allein gewesen war, hatte er keine Veranlassung gehabt vorauszudenken, keine Freude daran, sich vorzustellen, was die kommenden Jahre bringen könnten. Es hatte immer nur diesen Tag, diese Nacht gegeben, den kranken Rausch unmittelbarer Freuden und den leeren Morgen danach.
Aber Nell hatte eine neue Zeit in sein Leben gebracht. Er dachte an morgen.
Wenn er jetzt am Klavier saß, spielte er nicht, um sich in Gesellschaft der Musik weniger allein zu fühlen. Er spielte, damit sie zuhörte und vielleicht ein wenig näher an ihn heranrückte.
Voller Verwunderung sah er sie an, und ihm dämmerte, dass er sich, seit sie ihn sein Leben getreten war, nie allein gefühlt hatte.
»Mir würde etwas einfallen«, sagte er. »Aber es wird nicht so weit kommen, Nell. Daughtry ist sich sicher, dass wir gewinnen. Der Tauflöffel ist nur eine weitere Hilfe dabei.«
Nell wandte den Blick von ihm ab. Offensichtlich machte das für sie keinen Unterschied. Oder vielleicht schwächte es auch seine Glaubwürdigkeit, dass er nicht davon ausging, sie würden gemeinsam der Armut ins Gesicht sehen müssen.
Er versuchte es anders. »Eine Annullierung ist ein legales Mittel. Keine geheime Verschwörung, die ich gegen dich betrieben habe. Denk darüber nach, Nell. Als wir uns kennenlernten, hast du gedroht, mich zu töten. Du hast dich angehört wie eine Verbrecherin. Ich wusste nichts über dich, außer dass du einen Mord begehen wolltest und einer Frau, die ich nicht ausstehen kann, auf wunderbare Weise ähnlich sahst. Natürlich habe ich mich erkundigt, wie ich mich absichern kann, falls du und ich nicht miteinander zurechtkommen sollten. Ich dachte …«
Der Blick, den sie ihm zuwarf, glitzerte verdächtig. Ihm stockte der Atem. Waren das Tränen in ihren Augen? »Du dachtest, ich wäre ein Tier«, zischte sie. »Das war ziemlich deutlich.«
Der Wunsch, sie in den Arm zu nehmen, war kaum zu unterdrücken. Nur die Ahnung, dass sie das nicht begrüßen würde, hielt ihn auf seinem Platz. »Bitte hör mir zu«, sagte er. »Ich hätte dir offen sagen müssen, dass die Ehe gelöst werden kann. Ich gebe zu, dass meine Gründe feige waren und bitte dich dafür um Vergebung. Aber du kannst meine Fehler der Vergangenheit nicht einfach mit der Gegenwart über einen Kamm scheren.«
»Und warum sollte ich deinen Worten jetzt glauben, wenn das vorher falsch war?«, fragte sie. Sie schob das Kinn hoch und sah ihn über die Nase hinweg an. »Warum sollte ich einem Mann Vertrauen schenken, der sich damit brüstet, sich um niemandes Meinung zu scheren. Das ist nicht gerade eine Empfehlung, St. Maur!«
Das hatte gesessen, ihre Verachtung traf ihn wie ein Dolch. »Was glaubst du eigentlich?«, sagte er heiser. »Dass ich dich in den Slum zurückschicken würde? Denkst du das von mir?«
Sie zuckte mit einer Schulter. »Ich glaube, du hast gelogen, weil es dir in den Kram passte. Weil du wusstest, dass ich sonst nicht das Bett mit dir geteilt hätte.«
Zischend atmete er ein. »Das ist die größte Unverschämtheit, die mir je …«
»Hast du eine andere Erklärung?«
»Du warst ängstlich.« Verdammt, das klang nicht einmal in seinen eigenen Ohren überzeugend. Hilflos und frustriert fuhr er sich mit der Hand durchs Haar.
Die Kutsche wurde langsamer, die Räder rumpelten in einem regelmäßigeren Muster, als sie in den gepflasterten Hof vor den Stallungen
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