Eine naechtliche Begegnung
Ellbogen. »Danke für die Gastfreundschaft«, sagte er zu Mrs Crowley, die ihnen mit weit aufgerissenen Augen nachblickte, als er seine Frau Richtung Ausgang führte.
Sobald sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, riss sie sich los. Schweigend stiegen sie die Treppe hinab. Als sie wieder auf die Gasse traten, sagte er: »Wenn du mehr Zeit mit ihnen verbringen möchtest, kannst du sie gern nach Hause einladen.«
»Sicher«, sagte sie tonlos. »Bis mein Geld auf deinem Konto liegt, bin ich zu wertvoll, als dass du mich der Gefahr hier im Slum aussetzen könntest.«
Geräuschvoll stieß er den Atem aus. Weiß Gott, die Bewohner dieser Gasse fänden einen Ehestreit in der Öffentlichkeit kaum originell. In der Tat könnte es lehrreich für sie sein, dass man seine Differenzen auch ohne Peitsche beilegen konnte. Aber er zankte sich nicht auf der Straße.
Ihr spöttischer Blick verriet, dass sie wusste, dass er sich eine Erwiderung verbiss. »Stell dir vor, wenn deine Freunde dich sähen, wie du mit einem Mädchen aus der Gosse durch den Dreck spazierst.«
»Mit meiner Ehefrau«, sagte er.
Ein unangenehmes Lächeln zeigte sich jetzt langsam auf Nells Lippen. »Aber wie lange noch?«
Er schritt schneller aus, sehnte sich heftig nach der Straßenbiegung, nach der seine Kutsche endlich in Sichtweite käme.
Leise hörte er hinter sich ihre Stimme. »Ich habe dich gehört«, sagte sie.
Er drehte sich um. »Du hast mich gehört«, wiederholte er. »Was bedeutet das?«
Sie fixierte ihn durchdringend und lief dann an ihm vorbei, um voranzugehen.
Die Kutsche stand genau, wo sie sie verlassen hatten. Der Anblick, wie sie dort in der Sonne stand – und der Anblick des Dieners, der die Tür öffnete und sie beide von hier fortbringen würde –, gaben ihm das Gefühl, endlich aus einem bösen, sinnlosen Traum aufzuwachen.
Ihre nächsten Worte machten jedoch deutlich, dass es gerade erst anfing, böse zu werden.
»Ich habe gehört, wie du mit dem Anwalt geredet hast«, sagte sie über die Schulter hinweg, während der Diener ihr in den Wagen half.
Für einen Augenblick, den Fuß schon auf der Stufe, begriff Simon nicht. Er hatte sich mit Daughtry getroffen, um über eine unverschämte, als Journalismus maskierte Verleumdung zu sprechen, einen Artikel, den zweifellos Grimston in Auftrag gegeben hatte. Darin wurde Nell als schlaue Betrügerin bezeichnet, die mit der Hilfe ihres Ehemannes plante, ein Vermögen zu stehlen. Simon hatte etwas gegen die Zeitung unternehmen wollen. Eine Frau sollte dankbar sein für einen so treusorgenden Ehemann.
Und dann erinnerte er sich plötzlich, was genau Daughtry dagegen eingewandt hatte.
Er sprang in die Kutsche.
Nell hatte sich in eine Ecke gedrückt. »Nun?«, fragte sie.
»Bevor ich dich kannte«, sagte er schnell, ergriff die Handschlaufe und setzte sich hin, als der Einspänner vorwärts ruckelte, »bevor ich dich wirklich kannte, habe ich Daughtry um Rat gefragt.«
»Ja«, sagte sie. »Du wusstest, dass du die Ehe auflösen konntest, wann immer du wolltest.«
»Ich will aber nicht«, sagte er erbittert. Die bloße Idee kam ihm lächerlich vor. Sie war seine Frau. »Hast du nicht gehört, was ich Daughtry geantwortet habe? Dass ich kein Interesse an einer Annullierung habe?«
»Ich habe es gehört«, sagte sie. Ihre Ruhe kam ihm unheilvoll vor. Sie wirkte wie eine Überlebende, die sich von einer Krankheit erholte, die sie wider Erwarten doch nicht töten würde. Sie sah nicht mehr im Geringsten besorgt aus. »Soll ich mich dafür bedanken, dass du mir heute zugetan warst? Und wenn unser Plan nicht aufgeht? Wenn sich der Richter nicht von meinem Gesicht und einem Silberlöffel überzeugen lässt?«
»Auch dann«, stieß er hervor. »Wir sind verheiratet.«
»Auch dann?« Ihr Lächeln sah freundlich aus. »Du würdest um meinetwillen in Armut leben?«
»Ja.« Er war erstaunt über die Bereitwilligkeit seiner Antwort – und über die Tatsache, dass er keinen Zweifel hatte. »Ja, das würde ich.«
Die Nachmittagssonne schien durch das Kutschenfenster und beleuchtete lebhaft die kurze Unsicherheit in ihrem Blick, die rasch von etwas anderem vertrieben wurde. War das Angst?
Dann verhärtete sich ihr Gesicht. »Du kannst immer schön daherreden«, sagte sie. »Daran habe ich nie gezweifelt.«
»Aber an mir zweifelst du«, sagte er.
»Du hast keine Ahnung, was es bedeutet, arm zu sein. Ohne einen Pfennig in der Tasche wäre deine
Zuneigung
zu mir garantiert das
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