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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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an sich heranzog. Wie war er eingeschlafen? Wann hatte sie sich aus seinem Bett gestohlen?
    In ihren Räumen war sie auch nicht.
    Das Frühstückszimmer war leer, obwohl die Speisen verdeckt bereitstanden und auf ihr übliches Erscheinen warteten.
    Sie war nicht in der Bibliothek.
    Es war das kleine blonde Hausmädchen, das seinen wachsenden Verdacht bestätigte. Als er wieder hinaufgehen wollte – noch dachte, dass er sie verpasst hatte, dass sie oben sei –, stand das Mädchen hilflos oben an der Treppe, die Hände vor der Taille ringend.
    »Die … die Kleider sind weg«, stammelte sie. »Myladys Kleider!«
    Er nickte einmal und machte auf dem Absatz kehrt, ohne einen Schimmer zu haben, wo zum Teufel er hinging.
    Er fand sich in der Bibliothek wieder. Starrte blind auf die Bücherreihen. Eines lag noch auf dem Tisch, dort aufgeschlagen, wo Nell aufgehört hatte zu lesen. Es war eines der Bücher ihrer Mutter.
Der Sturm
. Vor ein paar Wochen hatten sie sich über das Stück unterhalten – eine lebhafte, wunderbare Diskussion. War sie in der Dämmerstunde hier unten gewesen, um an dieses Gespräch zurückzudenken? Er erinnerte sich kaum noch daran. Nur an seine eigene Verwunderung, sein wachsendes Staunen, als er bemerkt hatte, dass die Frau ihm gegenüber so viel mehr war, als er geahnt hatte – eine eigene Welt, die darauf wartete, erforscht zu werden.
    Eine Passage auf der Seite sprang ihm ins Auge.
    Ihr lehrtet Sprache mich, und mein Gewinn
    ist, dass ich weiß zu fluchen. Hol die Pest Euch
    fürs Lehren Eurer Sprache!
    Worte von Caliban, dem armen, wilden Monster, das Prospero zu zähmen versucht hatte. Nell hatte Caliban geschmäht, nicht einen Anflug von Mitleid mit ihm gehabt. Damals hatte Simon ihre Meinung amüsant gefunden. Selbstgefällig hatte er sich gefragt, ob sie begriff, wie ironisch es war, dass eine Frau aus einem Elendsviertel, die zu einer Lady geworden war, eine Kreatur verspottete, die sich von der heuchlerischen und beschränkten Zivilisation Prosperos nicht hatte unterjochen lassen.
    Mit zitternder Hand berührte er die Seite. Die Erinnerung an seine Belustigung widerte ihn jetzt an. Caliban hatte nichts mit ihr zu tun. Nicht sie, sondern er, Simon, der verdammte Earl of Rushden, hatte eine neue Sprache gelernt, während sie hier war. Oder vielleicht hatte er sie wiederentdeckt, verstand sie jetzt besser und sprach sie mit neuer Geläufigkeit.
    Er hatte keinen Zweifel daran, wo sie hin war. Nicht zum ersten Mal hatte eine Frau, die er liebte, ihre Aussichten abgewogen und das bessere Angebot angenommen. Er konnte es ihr nicht vorwerfen. Letzte Nacht waren ihre Aussichten düster gewesen. Grimstons Geld war in jeder Hinsicht die bessere Wahl.
    Er ballte die Hand zur Faust. Die Seite zerriss, ein langes, hässliches Geräusch. Langsam atmete er aus.
    Dann nahm er das Buch und schleuderte es krachend in den Kamin. Die Seiten flatterten wie die Flügel von Trauertauben.
    Simon wartete auf den Peitschenhieb der Demütigung, das tiefe, brennende und erdrückende Gefühl, das ihn nach Marias Verrat heimgesucht hatte und noch Jahre danach antrieb:
Du bist nicht gut genug. Du bist ihrer nicht wert.
    Aber es kam nicht. Stattdessen füllte ihn wilde, unkontrollierbare Trauer. Er konnte Nell nicht vorwerfen, fortgegangen zu sein. Er kannte sie gut genug, um ihre Beweggründe zu verstehen. Vielleicht erwiderte sie seine Liebe sogar, aber in ihren Augen war diese Liebe keine Garantie. Seit sie von der Möglichkeit der Annullierung erfahren hatte, wusste sie, wie wenig seine Worte bedeutet hatten, als er schwor, sie zu lieben und zu ehren, in guten wie in schlechten Zeiten. Was war seine Liebe schon neben der Sicherheit, die Grimston ihr bot?
    Aber sie sollte diesem Mistkerl nicht vertrauen. Sie war schlau, gerissen und gewitzt, aber ihr Herz war nicht schwarz genug, um sich die finsteren Wege vorzustellen, die Grimston für sie plante.
    Er lehnte sich schwer auf den Tisch und starrte auf das zerfledderte Buch.
    Sie war zu seinem schlimmsten Feind gegangen, und es machte nicht den geringsten Unterschied.
    Er musste sie trotzdem finden.
    Als er in der Empfangshalle Geräusche hörte, richtete er sich auf. Die Tür flog auf. Für einen Augenblick gelähmt – Freude, Erleichterung, Zorn und Liebe stiegen in ihm hoch – starrte er sie nur an. Sie sah verweint aus, und ihre Lippen zitterten.
    »Ich wollte nach dir suchen«, sagte er heiser und verstummte dann, die Worte verhedderten sich in seinem Kopf:

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