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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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gerecht. Was war bitte gerecht daran, einem reichen Mann so ein Gesicht zu schenken?
    »Aber, aber, meine Liebe«, sagte er und lehnte sich an die Wand neben der Tür. Weder verschränkte er die Arme, noch winkelte er das Knie an oder tat sonst irgendetwas, um einschüchternd zu wirken. Stattdessen hakte er die Daumen in die Hosentaschen und ließ seinen Kopf so lässig zur Seite kippen wie ein Berber, der mit offenen Augen ein Schläfchen machte. »Lassen Sie uns das Gespräch nicht unehrlich beginnen. Ich bin auch ohne Kleider ein schöner Anblick, und das wissen wir beide.«
    Diese Antwort hatte sie wirklich nicht erwartet. Sie hatte wohl ein paar Gecken kennengelernt, aber man musste schon ziemlich unverschämt sein, um auf Beleidigungen mit Eigenlob zu reagieren. »Sie tragen den Kopf ziemlich hoch«, sagte sie, wider Willen beeindruckt.
    »Zweifellos«, gab er zurück.
    Es war still, als sie sich gegenseitig musterten. Er hatte ein perfekt emotionsloses Gesicht aufgesetzt. Wahrscheinlich sahnte er am Spieltisch ordentlich ab, und Nell war sich sicher, dass er spielte. Er hatte den Mund eines Sünders, die Oberlippe beschrieb einen spitzen Bogen, die Unterlippe war voll und breit. Dieser Mund war in einigen Dingen sehr geschickt, wie sie gestern am eigenen Leib erfahren hatte. St. Maur konnte gut damit umgehen.
    Beim Gedanken daran wurde sie nervös. Für die Länge eines Atemzugs sah sie weg, dann wieder hin. Sein breiter werdendes Lächeln verlieh ihm etwas Verruchtes, Sinnliches. Offensichtlich fühlte er sich viel zu wohl in seiner Haut, als dass gute Umgangsformen ihn kümmern würden.
    »Sie sehen zufrieden aus«, sagte er.
    Tat sie das? Anscheinend hatte auch sie ihre Gesichtszüge gut im Griff. »Ich bin auch zufrieden«, log sie. Wie eine Katze, die man ins Wasser wirft. »Ein hübscher, kleiner West End Urlaub, fast eine Gratisübernachtung in einem vornehmen Hotel. Frisch und ausgeruht für die Polente, nicht wahr.«
    Überrascht zog er die Augenbrauen hoch. Aber Nell hatte das Gefühl, dass er das nur spielte. »Verzeihung, ich dachte, ich hätte mich letzte Nacht klar ausgedrückt. Ich habe nicht die Absicht, die Polizei zu rufen. Ich hoffe nicht, dass Ihnen diesbezügliche Befürchtungen den Schlaf geraubt haben.«
    Es war wirklich eine gute Frage, warum sie das nicht getan hatten. Warum er nicht die Polizei rief, war eine andere, aber sie würde ihr Glück gewiss nicht durch zu viele Fragen herausfordern. »Nett von Ihnen. Aber wenn ich nicht ins Zuchthaus komme, dann gehe ich jetzt besser.«
    »Sie müssen irgendwo hin?«
    Nell bemühte sich, weiterzulächeln. Eigentlich musste sie zum Pfandleiher. »Sicher. Ich kann ja nicht einfach bei der Arbeit fehlen.«
    »Wo arbeiten Sie denn?«, fragte er.
    Sie lachte, obwohl es nicht komisch war. »Das wüssten Sie wohl gerne!«
    »In der Tat, das wüsste ich gern.«
    Das Ausmaß seines Interesses deutete auf eine lästige Möglichkeit hin. »Sagen Sie bloß nicht, dass Sie einer von diesen Leuten sind, die ständig Gutes tun müssen.« Mit denen war sie fertig. Verdammte Heuchler. Kamen nach Bethnal Green mit besorgtem Stirnrunzeln, köderten Mädchen mit Versprechungen, obwohl sie nichts zu bieten hatten als Vornehmtuerei und diese dämlichen Decken. Möge Gott ihr helfen, wenn sie jemals wieder so eine zu Gesicht bekäme. Immer aus der gleichen langweiligen grauen Wolle und immer mit einem Stempel »Lady Soundsos Armenfonds«. Damit die Mädchen bloß nicht auf den Gedanken kamen, sie zu versetzen und sich etwas Ansehnlicheres zu kaufen als die hässlichen Lumpen, die jedem Menschen mit Augen im Kopf ihre Armut entgegenschrien. »Sehen Sie sich woanders um, wenn Sie jemanden retten wollen«, sagte Nell. »An Almosen von Weltverbesserern bin ich nicht interessiert.«
    Sein Gesichtsausdruck blieb unbewegt. »Obwohl ich ernsthaft bezweifle, dass die Beschreibung auf mich passt, werden Sie das genauer erklären müssen. Was zum Teufel ist ein Weltverbesserer?«
    Sie beäugte ihn skeptisch. »Ich bin mir sicher, dass Sie welche kennen.«
    »Erklären Sie es mir, und ich denke drüber nach.«
    »Das ist eine ganz komische Sorte.« Sie sprach langsam, aber ihre Gedanken überschlugen sich. Wozu all das Gerede? Wenn er nicht vorhatte, die Polizei zu rufen, warum hatte er sie hierbehalten? »Einige von ihnen wollen uns Gott näherbringen. Die anderen sind eher von Ihrem Schlag, Leute, deren Leben so bequem ist, dass sie sich langweilen. Sie kommen nach Bethnal

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