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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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Green und wollen wissen, wie wir leben, dann erklären sie uns, was nicht mit uns stimmt, gehen wieder zurück in ihre eleganten Häuser und tun gar nichts.«
    Er zog eine Augenbraue hoch. »Sie meinen Menschen, die Wohltätigkeitsarbeit verrichten.«
    Von wegen. »Arbeit habe ich da noch nie einen verrichten sehen, aber ich kann mir vorstellen, dass sie lügen und das behaupten. Klar.«
    Sein Lachen klang überrascht. Nell reagierte mit einem durchtriebenen kleinen Lächeln.
    Ihm selbst verging die Heiterkeit wieder. Er runzelte die Stirn und sah sie jetzt eindringlicher und aufrichtiger an als bisher. Als wäre ihm gerade erst bewusst geworden, dass sie genauso ein Mensch war wie er, dass sie einen Kopf hatte und die Fähigkeit, ihn zu benutzen. »Meine liebe Lady Cornelia«, sagte er, »Sie …«
    »Nell reicht vollkommen.« Was sollte das vornehme Geschwätz? »Und wie ich schon sagte, ich heiße Penelope.«
    »Hmm.« Er betrachtete sie schweigend. »Anscheinend haben Sie von Ihrem Vater seine ganz besondere Art von Liebreiz geerbt«, sagte er schließlich und fügte mit einem Lächeln hinzu: »Beharrlichkeit.«
    Etwas Gutes über ihren Vater zu hören, selbst wenn es nur eine verkappte Stichelei war, kam ihr falsch vor, als würde die Welt sich auf den Kopf stellen, der Himmel hinunterfallen und die Erde aufsteigen. Andererseits war ihr Vater tot, und sie konnte es St. Maur kaum übel nehmen, ihn zu loben. Die Toten sollte man loben, selbst die Bösen. Es waren die Lebenden, die einem Ärger machten.
    »Danke«, sagte sie. »Freut mich zu hören. Vielleicht sollte ich meinen Liebreiz jetzt dazu benutzen, hier zu verschwinden, ich habe nämlich keinen Scherz gemacht. Einige Menschen müssen sich ihr Brot mit Arbeit verdienen.«
    Jetzt erschrak er sichtlich. »Brot! Guter Gott, Sie müssen kurz vor dem Verhungern sein.« Er beugte sich vor und riss an einer Schnur, die aus der Wand kam. Wahrscheinlich ein Klingelzug. In der Fabrik hatten sie welche für Notfälle eingebaut, die waren allerdings nutzlos. Als sie mal an einem gezogen hatte, war die hydraulische Presse trotzdem für geschlagene fünf Minuten weitergelaufen. Und hatte in dieser Zeit noch etwas anderes gepresst als nur Tabak. Eine Frau war gestorben.
    Bei der Erinnerung lief ihr ein Schauer den Rücken hinunter.
    »Nehmen Sie Kaffee, Tee oder beides?«
    »Ich nehme einen Omnibus.« Nell legte ihre ganze Willenskraft in den Blick, den sie ihm zuwarf. »Oder ich nehme ein Pfund, falls Sie mir den Wochenlohn bezahlen wollen, den ich verliere, wenn ich nicht bei der Arbeit erscheine.«
    »In Ordnung«, sagte er so schnell, dass sie fast empört war. So beiläufig bot er ihr so viel Geld an?
    Aber natürlich tat er das. Zwanzig Shilling waren für ihn ein Fliegendreck.
    Ihr wurde übel. Sie hätte mehr fordern können. Fünfundzwanzig. Sogar dreißig.
    Aber ohne das Zeug unter der Matratze würde das auch nicht reichen. Sie brauchte ein ziemliches Vermögen, um Hannah rauszuholen. Ein Hausmädchen mit Haube steckte seinen Kopf durch die Tür. Nicht die sauertöpfische Dürre von gestern Nacht, sondern ein blasses, dralles Ding, das Nell einen ängstlichen Blick zuwarf. Nell musste sich auf die Zunge beißen, um nicht laut »buh« zu rufen.
    »Ein Tablett für die Dame«, sagte St. Maur zu der Gans. »Kaffee und Tee. Und vielleicht …« Nell fing seinen amüsierten Blick auf. »Schokolade. Zusammen mit dem üblichen Frühstück«, fügte er hinzu.
    Das Mädchen riss die Augen auf. »Sehr wohl, Mylord.« Bevor sie floh, sank sie rasch in einen Knicks.
    Nell starrte ihr nach. Ihr Gesichtsausdruck musste ihre Gedanken verraten haben, denn St. Maur fragte: »Was ist? Hat sie Sie verärgert?«
    »Natürlich nicht.« Aber sie fand es haarsträubend, mitanzusehen, wie ein Mädchen den Kopf senkte und knickste wie eine Sklavin. »Ich begreife einfach nicht, wie man in Stellung gehen kann.«
    »Warum nicht?«
    »Für den Anfang, weil man vor Leuten wie Ihnen knicksen muss.« Sie zögerte. Plötzlich war sie sich nicht sicher, warum sie ihm gegenüber so feindselig war. Fairerweise musste man sagen, dass er ziemlich nett darauf reagierte, dass sie bei ihm eingebrochen war und gedroht hatte, ihn zu erschießen. Er wollte ihr sogar ein Pfund geben.
    Aber genau darauf reagierte sie gereizt. Obwohl sie es nicht verdiente, war er freundlich. Also wollte er etwas. Und was sollte ein Mann wie er ausgerechnet von ihr wollen?
    »Ach, ich weiß nicht«, sagte er leichthin.

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