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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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lang und schmal geschnitten, und dank eines geizigen Vorfahrens, der die Fenstersteuer gefürchtet hatte, besaß sie keine Fenster. Etwa in der Mitte führten zwei Wendeltreppen an den Wänden hoch zu einer schmalen Galerie, die um den ganzen Raum herumführte und auf der weitere Regale angebracht waren. Wahrscheinlich war es wirklich beeindruckend.
    »Das sind viele Bücher«, murmelte sie.
    Nicht so viele, wie es eigentlich hätten sein müssen. Manchmal war Simon immer noch erstaunt über die engherzige Grausamkeit des alten Rushden, der die Bücher seiner Frau verkauft hatte. Der alte Mistkerl hatte sie beinahe verschenkt, nur um ein Exempel zu statuieren und den Menschen zu kränken, der diese Bücher so sehr geliebt hatte. Die Countess.
    »In letzter Zeit bin ich so was wie ein Sammler geworden«, sagte Simon. Jedes einzelne Buch der Countess würde eines Tages wieder in diesen Regalen stehen, und wenn er sein ganzes Leben dafür bräuchte.
    »Sie müssen den ganzen Tag nur lesen«, bemerkte das Mädchen.
    Er lachte. Sie warf ihm einen befremdlichen Blick zu. »Darum geht es nicht«, gab er zurück.
    »Es sind Bücher«, sagte sie ausdruckslos. »Worum sollte es sonst gehen?«
    Einen Moment lang schwieg er. Eigentlich war es eine gute Frage. Als kleiner Junge hätte er das auch fragen können. Zahllose Stunden hatte er mit Lesen verbracht und fasziniert entdeckt, wie wundersam vergessene Geschichten waren – seltsame Fakten, die die Welt nicht mehr gebrauchen konnte – und dass sie Beachtung verdienten. Er hatte sich für ziemlich schlau gehalten, weil er diese Geschichten verstand und die Countess auf Dinge hinwies, die sogar sie übersehen hatte. So großzügig hatte sie ihn gelobt.
Ich habe noch nie auf diese Weise darüber nachgedacht. Was für eine brillante Idee, Simon
.
    Die Erinnerung an seine kindliche Genugtuung brachte ihn zum Lächeln. »Ich bevorzuge das Einzigartige«, sagte er. »Wörtlich genommen. Viele dieser Manuskripte sind sehr selten und zu empfindlich, als dass man sie lesen könnte.« Er legte eine bewusste Pause ein. »Obwohl eine rauere Behandlung durchaus etwas Vergnügliches hat.«
    Sie starrte ihn verständnislos an. »Sie bewahren sie also gut auf, damit jemand anders sie später ruinieren kann?«
    Hatte sie seine Andeutung überhört oder hielt sie ihn zum Narren? Letzteres machte ihn neugierig. In der Regel nahm man nicht an, dass Angehörige der Unterschicht ein reiches Innenleben hatten, geschweige denn Sinn für Humor. Hinter den düsteren Augen und blassen Gesichtern schien sich nichts als wohl begründeter Zorn zu verbergen, höchstens noch – wenn man den nervösen Gesprächen auf Dinnerpartys Glauben schenkte – Fantasien von den aufgeschlitzten Kehlen der Reichen.
    Wenn man es recht überlegte, wurde Humor eigentlich niemandem außerhalb der High Society zugeschrieben. Selbst die Mittelschichten schienen von außen betrachtet eher langweilig und furchtbar moralisch.
    Simon betrachtete das Mädchen, wie es die Arme verschränkte und sich umsah. Ein schmuddeliges kleines Ding mit scharfem Verstand und einer ebensolchen Zunge. Überhaupt nicht, was er von einer kleinen Ratte aus einem Armenviertel erwartet hätte. Sie war zarter als Kitty, etwas kleiner, schmaler in den Schultern – zweifellos das Klügste, was ein Körper tun konnte, wenn man ihn mit Haferschleim und Wasser großzog. Aber ihr Hals war lang und wunderbar schlank. Und der quadratische Kiefer war kräftig genug, um einen Finger zu verletzen, der ihm leichtfertig zu nahe kam. Vielleicht sollte er diese Theorie ausprobieren. Sie ignorierte ihn mit irritierender Gelassenheit und sah nun hoch zu den Oberlichtern, die der alte Rushden hatte einbauen lassen. Ihr Gesichtsausdruck …
    Ihm stockte der Atem bei ihrem Gesichtsausdruck. Da war so lebendiges Staunen in ihren Augen, dass er selbst nach oben blickte und das Wunder auch sehen wollte.
    Aber da gab es nur die Oberlichter, die nach wie vor nichts Besonderes waren.
    Es war albern, enttäuscht zu sein.
    Wieder sah Simon sie an. Vielleicht waren die Oberlichter für sie wirklich eine Art Wunder. Zweifellos stammte sie aus einem dieser dunklen, dicht bevölkerten Slums, wo Glas immer zerbrochen war und heruntergekommene Bruchbuden den Himmel säumten. Diese Welt musste vollkommen fremd für sie sein. Alles war sauber, glänzend, makellos, alles war fremd und neu und wartete darauf, von ihr entdeckt zu werden.
    Ein sonderbares Gefühl machte sich in seinem

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