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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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überhaupt nichts
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    Der alte Rushden drehte sich sicher im Grab um. Jahrelang hatte er Simon als niederträchtigen Mistkerl beschimpft. Jetzt war seine kostbare Tochter wieder aufgetaucht, und zwar bitterarm, obwohl ein verdammtes Vermögen von einer Million Pfund auf sie wartete.
    Es war schon komisch, wie die Welt immer wieder ins Gleichgewicht geriet.
    Simon atmete aus. »Dieser andere Brief«, sagte er mit bemerkenswerter Ruhe, »ist einer von vielen, die der Earl in den Jahren vor seinem Tod erhielt. Aber vorher sollte ich vielleicht erwähnen, dass Ihr Vater nach Ihnen gesucht hat. Er hat ganz England durchkämmt. Es gab Zeitungsartikel, Zeichnungen von Ihnen und Jane Lovell in Bahnhöfen, alles.«
    Der tiefen Falte zwischen ihren Augenbrauen nach zu urteilen, runzelte Nell Aubyn häufig die Stirn. »Woher wissen Sie das alles?«
    »Nächsten Januar werde ich dreißig«, sagte er. »Ich kann mich daran erinnern. Und ich habe noch einen anderen Grund, die Details zu kennen. Zwei Jahre vor Ihrem Verschwinden wurde der verstorbene Earl mein Vormund.«
    Der alte Rushden hatte sich seinen Nachfolger selbst heranziehen wollen. Simons Eltern hatten nicht protestiert. Sie waren so geblendet von der Aussicht, dass ihr Sohn ein Earl werden würde, dass sie ihn einfach übergeben hatten. Seine Mutter hatte höchstens ein- oder zweimal geweint, nahm Simon an.
    »Aha«, sagte Nell. »Dann hätte ich Sie doch erschießen sollen. Sie sind ja praktisch er!«
    Simon lächelte schwach. »Nach Ansicht Ihres Vaters ähnelt ihm wohl niemand auf der Welt weniger als ich.« Rushden war immer sehr stolz auf seine Abstammung gewesen. Es hatte ihm nicht gefallen, sich auf der lumpigeren Seite des Stammbaums einen Nachfolger zu suchen. Und dazu kam der Zorn, dass ihm das ungerechte Schicksal keine Söhne vergönnt und noch dazu eine Tochter geraubt hatte.
    Diese Tochter grinste nun. »Sie wollen sich rausreden und hoffen, nicht doch noch eine Kugel zu kassieren.«
    »Überhaupt nicht«, sagte er höflich. »Außerdem habe ich Ihre Pistole bereits in Gewahrsam.«
    Hoffnungsvoll sah sie sich im Raum um. »Ich könnte Ihnen den Schädel mit dem Schürhaken einschlagen.«
    »In der Bibliothek gibt es kein Feuer. All das alte Papier …«
    »Wo ist das Messer?«
    »Geduld«, murmelte er. »Sie dürfen mich später abstechen. Kommen wir zunächst zu dieser Angelegenheit zurück. Die Sache ist die: Er hat überall nach Ihnen gesucht. Aber obwohl es nicht die geringste Spur von Ihnen gab, hatte jeder Irre im gesamten Vereinigten Königreich eine Theorie zu Ihrem Verbleib. Mit der Zeit ließ die Flut der Briefe nach, aber selbst in den letzten Monaten seines Lebens kamen noch ein oder zwei, deren Verfasser behaupteten, Ihren Aufenthaltsort zu kennen.«
    Er hatte irgendetwas Falsches gesagt. Erst zitterte sie am ganzen Körper, als ob sie eine elektrische Leitung berührt hatte, dann wurde sie so steif, wie andere Frauen es nur mithilfe eines Korsetts bewerkstelligten. »Haben Sie seine Briefe bekommen?«
    Simon zermarterte sich den Kopf nach möglichen falschen Antworten. »Nein, dafür hatte er einen Sekretär.« Seinen ältesten, engsten Freund, der jetzt Kittys Vormund war. Grimston hatte stets eine hohe Meinung von sich selbst gehabt. Nie hätte er zugegeben, dass er im Austausch für die Summen, die Rushden ihm »lieh«, als Sekretär fungierte. Aber seit Simon sich erinnern konnte, hatte Grimston sich um Rushdens Korrespondenz gekümmert.
    Plötzlich fiel ihm auf, dass Nell kreidebleich geworden war. »Und die Briefe, die ankamen, nachdem er den Löffel abgegeben hatte?«, fragte sie.
    Seine Instinkte ermahnten ihn, dass Vorsicht angebracht war. »Der Testamentsvollstrecker hat sich ihrer angenommen.« Auch Grimston.
    »Wie heißt er?«, fragte sie geradeheraus.
    »Später«, sagte er, da sie diese Information offenbar wichtig fand. Vielleicht könnte das bei den Verhandlungen mit ihr von Nutzen sein.
    Mit grimmiger Miene nickte sie kurz. »Gut«, sagte sie. »Dann zeigen Sie mir mal diesen Brief, den der Sekretär seiner Lordschaft ausnahmsweise für lesenswert hielt.« Sie streckte die Hand aus.
    Simon gab ihr den Brief. Es war nur eine Kopie, das Original befand sich in Grimstons Besitz und war von seinen Anwälten dem Gericht vorgelegt worden. Sie versuchten damit die Theorie zu stützen, dass Cornelia noch am Leben war. Herrliche Ironie des Schicksals, aber Nells sonderbare Bemerkung lenkte Simon ab. Das konnte nur eines bedeuten.

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