Eine naechtliche Begegnung
senkte er den Kopf. Seine Lippen berührten ihren Mund einmal, zweimal, so leicht, dass sie es kaum spürte. Vielleicht hatte sie ihn falsch eingeschätzt. Diese Küsse fühlten sich nicht an wie Lust, sondern als wolle er symbolisch sein Versprechen besiegeln.
Dann zog er sich ein wenig zurück. Sein Gesicht war keine fünf Zentimeter von ihrem entfernt, und er sah sie an. »Machen Sie mit?«
Eine merkwürdige Frage, umso beunruhigender, da sie Einfühlungsvermögen bewies. Er hatte bemerkt, dass sie ihn abwehren wollte. Ihr gefiel überhaupt nicht, wie deutlich er sie durchschaute. »Ich bin nicht hier, um für Sie die Hure zu spielen«, sagte sie mit harter, leiser Stimme.
»Nein«, stimmte er zu. »Das werden wir uns für das Ehebett aufheben. Aber in der Zwischenzeit ein Kuss.«
»Den ich Ihnen letzte Nacht schon gegeben habe«, sagte sie. »Einer reicht.«
Er zog einen Mundwinkel nach oben. Ein spitzbübisches kleines Lächeln. »Wenn das Ihre Meinung ist, war es ein schlechter Kuss. Sie müssen mir auf jeden Fall die Gelegenheit zugestehen, das wiedergutzumachen.«
»Nein.« Sie wusste genau, wo das hinführte. Sie hatte ein Dutzend Mädchen gesehen, die von Kerlen mit Talent zum Süßholzraspeln ruiniert worden waren. »Ich werde nicht Ihren Bastard austragen, St. Maur.«
Er sah sie an. »Wir müssen uns dringend unterhalten«, sagte er, »falls Sie glauben, dass Küsse zu Kindern führen.«
»Ich weiß genau, was zu Kindern führt, und ich werde es auf keinen Fall tun.«
»Nun, dann sollte ein einfacher Kuss doch in Ordnung sein, unfruchtbar, wie er ist.«
Sie öffnete den Mund und war sprachlos. »Sie sind wirklich hinterlistig mit Worten«, sagte sie schließlich.
Er grinste. »Ich glaube, ich muss auf meinem Kuss bestehen«, sagte er und kam wieder näher. Aber diesmal glitt er von seinem Sessel hinunter vor ihr auf die Knie und griff ihr ins Haar, als er seine Lippen erneut auf die ihren legte.
Ach, er fühlte sich so gut an. Heiß und stark. Mit der Zunge fuhr er an ihrer Unterlippe entlang, und ihre Gedanken verhedderten sich. Als sie keuchte, drang er in ihren Mund ein und packte ihr Haar fester. Glut wurde in ihr entfacht, löste ihre Anspannung und wärmte ihr die Kniekehlen.
Nein
. Nell kämpfte, um den Überblick über ihre Gedanken zu behalten.
Dummes, dummes Mädchen
. Ein Mann, der auf sein Vergnügen aus war, war blind und hilflos und ein leichtes Ziel. Aber wenn die Frau es auch wollte, welche Macht blieb ihr dann noch?
St. Maur war wirklich geschickt. Er küsste sie, als gäbe es nichts außer diesem Kuss, als genüge er sich selbst und es gäbe keine Eile oder Hast oder ein größeres Ziel dahinter. Sein Mund bewegte sich langsam und bewusst. St. Maur gab einen tiefen Laut von sich, als ob er etwas Köstliches probierte. Dann spürte sie seinen Daumen an ihrem Mund, wie er in einer verträumten Linie über ihre Haut fuhr, als wollte er unterstreichen, was er mit ihr tat.
Mit ihr tat. Er sollte überhaupt nichts mit ihr tun.
Als sie sich versteifte, protestierte er murmelnd. So ein leises Geräusch, so sonderbar bei einem Mann: beinahe verletzlich. Sein Griff wurde sanfter, wenn sie wollte, konnte sie sich von ihm zurückziehen. Aber mit den Fingern fuhr er ihre Wange hinab, als wolle er sie nicht gehen lassen, fuhr weiter hinab, eine flüchtige, warme Berührung an ihrem Hals, ein sanfter Druck auf ihrem Schlüsselbein. Kein Drängen, kein Grabschen. Nur Schmeicheln.
Fragen
.
Ihr Körper entflammte. Die Spitzen ihrer Brüste. Zwischen den Beinen. Eine Offenbarung breitete sich in ihr aus, schmolz und zog sich zusammen: diese Orte, an denen Männer so interessiert waren, spielten selbst auch eine Rolle. Wenn er fragte, antwortete ihr Körper ihm.
Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. Unter dem dünnen Batist des Hemds fühlte er sich fest und heiß an, stark und kraftvoll. Sein harter Bauch presste sich an ihre Knie. Er kam näher, beugte sich über sie. Seine Größe lag in den langen Beinen, also war er auch kniend noch groß. Mit der freien Hand griff sie in sein Haar. Es war weicher und dichter als jedes Haar, das sie bisher berührt hatte. Das Haar eines reichen Mannes, genährt durch lebenslanges gutes Essen.
Dieser Gedanke brach den Zauber. Sie stieß ihn fort. Augenblicklich zog er sich zurück, verlagerte das Gewicht in einer fließenden Bewegung auf die Füße und machte keine Anstalten, ihr noch einmal näher zu kommen. Er hockte nur da und atmete heftig. Sein
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