Eine naechtliche Begegnung
gern erfahren. Wer war es?«
Seine Berührung war so sanft an ihrer Wange. Er ging mit ihr um, als wäre sie zerbrechlich, besonders. Eine Lady.
Diese Vorstellung war absolut zum Lachen.
Nell versuchte, von ihm abzurücken. Nicht so weit, dass es ihm auffiel, sie wollte nur seine Wärme nicht mehr spüren. Ohne Zweifel war sie eine vollendete Närrin, eine Fliege, die sich von Lord Spinne einfangen ließ.
Was für ein luxuriöser Salon, Sir. Aber natürlich schlafe ich in Ihrem Netz.
Klug, gut aussehend, ein Earl … wenn er wollte, könnte er sie unter seinem Absatz zertreten.
Was nicht hieß, dass sie ihm das leicht machen würde. Sie war aus härterem Stoff gemacht als Glas.
»Also?«, fragte er.
Selbst sein Atem roch teuer. Dem Geruch nach zu urteilen hatte er Brandy getrunken. Nell richtete ihre Aufmerksamkeit auf seine Hände, braun gebrannt wie die eines Mannes, der in der Sonne arbeitete. Natürlich schloss der dicke Goldring an seinem Finger diese Vorstellung aus. Kein Bauer hatte je so etwas getragen.
Allein aus Neugier sprach sie nun. »Was würden Sie tun, wenn ich es Ihnen erzählte?«
»Ich würde dafür sorgen, dass er es bereut.«
Unwillkürlich sah sie ihm in die Augen. Er blinzelte, als wäre er nicht weniger überrascht als sie selbst. Dann lächelte er sein launenhaftes kleines Lächeln. »Sehen Sie! Benehme ich mich nicht schon wie ein perfekter Ehemann?«
Sie konnte ein schwaches Lächeln nicht unterdrücken. »Meiner Erfahrung nach sind es die Ehemänner, die überhaupt erst zuschlagen.«
Die Heiterkeit verschwand aus seinem Gesicht. »Wenn das stimmt, ist es eine traurige Tatsache.«
»Ihr Angebot hört sich gut an«, sagte sie. Vielleicht war dieser Typ gar nicht so schlecht. »Aber es ist nicht nötig.«
»Gehört zum grundlegenden Service«, sagte er ausdruckslos.
Sie schnaubte. »Dann sind Sie wohl ziemlich beschäftigt, St. Maur. Mir fallen sofort ein Dutzend Frauen ein, die Ihre Dienste benötigen würden.«
Mit dem kleinen Finger fasste er unter ihr Kinn und schob ihr Gesicht hoch, sodass sie sich ansahen. Aus dieser Nähe konnte sie seine Iris deutlich sehen: Ein schmaler Ring aus Kohle umgab grüne und blassgraue Fasern, die an den Pupillen in einen goldenen Reif übergingen. Wunderschöne Augen. Seine Brauen, ausgeprägte, pechschwarze Striche, näherten sich einander, als er die Stirn runzelte. »Gehören Sie häufig dazu?«, fragte er.
Ungeduldig stieß sie den Atem durch die Nase aus. Sein Mitleid würde ihr wahrscheinlich einen Vorteil bringen, aber sie ertrug es einfach nicht. »Nein«, sagte sie. »Ich kann selbst auf mich aufpassen.«
Einen weiteren Augenblick sah er sie an, aber wenn er Zweifel daran hatte, behielt er es für sich. Er ließ ihr Kinn los und konzentrierte sich wieder auf ihre Wange. Als sie spürte, wie das Tuch abwärts in Richtung Kiefer wanderte, wurde sie stocksteif. Es fühlte sich zu sehr nach einer Liebkosung an. Sie musste daran denken, wie er sie heute Morgen berührt, wie er sie letzte Nacht geküsst hatte. Sie war eine solche Idiotin, nicht besser aufzupassen. Wie ein Trinker, der Gin roch, spürte sie, wie jede einzelne Zelle in ihr erwachte.
Es war sonderbar, dass Körper einander von Anfang an begehren konnten. Anders als Seele und Verstand traf das Fleisch sofort eine Entscheidung – weshalb der Verstand umso wichtiger war. Rasch riss Nell ihm das Tuch aus der Hand. »Sie setzen sich da hin«, sagte sie und klopfte mit der Hand auf den anderen Stuhl. Mit absichtlich breitem Akzent fügte sie hinzu: »Ich kann das allein mit mei’m Auge.«
Spöttisch salutierend legte er zwei Finger an die Schläfe und tat wie ihm befohlen. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Würde er wirklich dafür sorgen, dass Michael es bereute? Sie hatte mit genügend Iren im Pub geflirtet, um zu erkennen, wenn jemand leer daherschwätzte. Lag es an seinem Gesicht, dass sie so dämlich war? Der Kiefer war markant und quadratisch, die Wangenknochen ausgeprägt. Das Einzige, was ihn davor bewahrte, richtig hübsch zu sein, war der Höcker auf der Nase, aber es war wirklich knapp. Langbeinig, breitschultrig, flacher Bauch … er war zu schön, um wahr zu sein.
Genau wie diese ganze Sache.
»Irgendetwas stinkt hier gewaltig«, sagte sie. »Ein Mann wie Sie, ich kann mir kaum vorstellen, dass es Ihnen schwerfällt, eine Braut zu finden. Was ist der wahre Grund für diesen Schwindel?«
Er lehnte sich im Sessel zurück. Als er die Absätze auf
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