Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
Vom Netzwerk:
mir leid, ich kann mich wirklich nicht erinnern.«
    Nell konnte förmlich sehen, wie es ihm dämmerte. Dumm war er nicht, leider. Seine Augen verengten sich. Dann besann er sich eines Besseren. Sie würde ihn doch nicht etwa anlügen? Wegen einer so unbedeutenden Angelegenheit? Natürlich nicht. Oder doch? Er runzelte leicht die Stirn. Warf ihr einen eindringlichen Blick zu, der einen neuen Gedanken verriet. Doch. Ja, sie würde lügen. Aber warum?
    Sie lächelte ihn an.
Sieh nur in den Spiegel,
dachte sie.
Sieh dir dein hübsches, glattes Gesicht an, die breiten, kräftigen Schultern, die geraden, weißen Zähne und die Augen, die du jede Nacht beruhigt schließt, weil du dir nie Sorgen um deinen Unterhalt machen musstest.
    Er blinzelte. Machte eine Bewegung, als würde er vor ihr zurückweichen. Dann fing er sich wieder und – entgegen all ihren Erwartungen – lächelte. Erst vorsichtig, aber dann plötzlich grinste er sie schief an. Es verschlug ihr den Atem. So ein offenes, unverfrorenes Zugeständnis, dieses Lächeln. Für einen Augenblick fühlte sie sich dumm, geblendet, verblüfft.
    Hier stand ein Mann, der mit guter Laune verlieren konnte. Der seine Wut für wichtigere Dinge aufhob. Der jetzt lachte, ein tiefes, sanftes Lachen, mit dem er seine Niederlage und auch ihre Klugheit anerkannte. Er schien sich sogar über ihre Klugheit zu freuen.
    Hörbar atmete sie aus, ein
Pfifft
, bei dem sie zusammengezuckt wäre, wenn sie nicht noch immer mit dem Klang seines Lachens beschäftigt gewesen wäre, das wie Pelz an ihr rieb und ihr eine Gänsehaut auf die Arme trieb. »Meinetwegen«, sagte er leise und belustigt. »Meinetwegen, Nell.« Über ihren Kopf hinweg sagte er zu Hankins: »Sie können gehen.« Und um das zu unterstreichen, machte er eine Handbewegung: Fort. Husch.
    Was Nell sofort aus ihrer schlafwandlerischen Betäubung riss. Plötzlich empfand sie das heftige Bedürfnis, ihm die Zähne einzuschlagen. Menschen waren keine Fliegen, und das hier war kein Spiel. Fast hätte jemand seine Existenz verloren. Und nur weil St. Maur beweisen musste, wie gefährlich es war, ein Rückgrat zu besitzen.
    Die Dienstboten traten ab, kleine, disziplinierte Soldaten in einer einzigen Linie. Gott allein wusste, wann sich die Formation auflöste. Nell hätte wetten können, dass das hinter der nächsten Ecke geschah, sobald sie außer Sicht waren. Eine hübsche Vorführung von bravem Gehorsam. Sie ahnte, hoffte fast, dass sie grinsten, sobald sie abgebogen waren.
    Neben sich hörte sie St. Maur. »Sie interessieren mich«, sagte er, und sein Tonfall verriet, dass ihn diese Tatsache überraschte, ihm mehr bedeutete, als es eigentlich sollte. Nun, ein Mann, der überrascht war, wenn ihn etwas interessierte, war ihrer Ansicht nach nur ein hundsmiserabler Abklatsch von Leben.
    Mit einem Hauch von Ungeduld sah sie ihn an. »Sie interessieren mich nicht.« Nicht jetzt. Nicht nach dieser Szene.
    Und auch darüber war er erschrocken. Ganz leicht legte er den Kopf schief, als könnte er sie so besser sehen. Sie bemerkte einen kurzen Blick an ihr vorbei – wahrscheinlich wollte er sichergehen, dass der Butler und die Haushälterin nicht zuhören konnten. Schließlich durfte man vor seinen Untergebenen nicht offen sprechen.
    »Habe ich Sie verärgert?«, fragte er. »Ich wollte das vorher nicht sagen, aber Ihre Kleidung ist absolut …«
    »Brauchbar«, sagte sie. »Das Erste, was ich seit Langem trage, das kein einziges Loch hat. Und? Sind Sie erschüttert?«
    Er starrte sie an. Sprachlos. Gut. Nell verschränkte die Arme und genoss es, ihn sprachlos zu sehen, auch wenn es nicht lange anhielt.
    Denn er erholte sich ziemlich schnell. »Dann freuen Sie sich sicher zu hören, dass oben noch mehr Kleider liegen«, sagte er. »Direkt aus dem Laden. Vor weniger als einer Stunde geliefert.«
    »Gut.« Sie hoffte, dass ein violettes dabei war. »Aber das hier ist für heute in Ordnung.« Für alles Gold der Königin hätte sie dieses Kleid heute nicht ausgezogen. Sie lächelte.
    Er kniff die Augen zusammen. Ihre Unnachgiebigkeit verwirrte ihn. »Wenn Sie das wünschen, meinetwegen. Aber Sie müssen verstehen, dass Ihr Erscheinungsbild wichtig ist.« Zögernd runzelte er die Stirn. »In dieser Sache, meine ich. Allgemein gesprochen halte ich nichts davon.« Er verzog das Gesicht zu einer halbseitigen Grimasse. Ihm war klar, dass er kaum von ihr erwarten konnte, ihm zu glauben. Nicht jetzt, nicht nach der Vorstellung, die er gerade

Weitere Kostenlose Bücher