Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine private Affaere

Eine private Affaere

Titel: Eine private Affaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
Vom Netzwerk:
waren trotz striktester Diät ein bißchen pummelig geworden. Sie hatte Angst, daß sie bald Krampfadern bekommen würde.
    Meinem eigenen Körper war es nicht viel besser ergangen. Meine Haare wurden an den Schläfen grau und auf der Brust weiß. Arme und Beine waren drahtig wie eh und je, doch zu viele Geschäftsessen und Bierchen nach der Arbeit hatten zu einem Bauch geführt, und mein sitzender Beruf hatte auch meinem Hinterteil nicht gerade gut getan.
    Doch diese Schwächen wirkten nicht enttäuschend, sondern weckten ein Gefühl der Zärtlichkeit. Trotz ihrer angegriffenen Nerven war Daisy immer zur Liebe bereit; wenn wir miteinander schliefen, entspannte sie sich am besten. Sie kam jetzt nicht mehr laut stöhnend zum Orgasmus, sondern ließ sich manchmal so lange Zeit, daß sie sich hinterher entschuldigte, so gierig gewesen zu sein. Ich fühlte mich dadurch so geschmeichelt, daß mein Durchhaltevermögen noch das meiner Jugend übertraf. Mein Körper mochte den ihren und verkroch sich gern darin.
    Daisy hatte mir am Sonntag zur Bedingung gemacht, daß wir keine Verhütungsmittel benutzten. Ich konnte mich nach wie vor nicht mit dem Gedanken an eine mögliche Vaterschaft anfreunden, doch jetzt waren meine Gründe andere als vor zehn Jahren. Nun hatte ich das Geld, aber ich war mir gar nicht so sicher, ob ich auch die nötige Energie besitzen würde. Daisy war ebenfalls nicht völlig blind gegenüber eventuellen Problemen.
    »Was ist, wenn das Kind in die Pubertät kommt?« fragte ich. »Wir waren schlimm genug, aber wenigstens gab’s damals noch so was wie Respekt. Wenn die Kinder heutzutage aus der Schule kommen, können sie kaum rechnen. Sie bumsen wie die Karnickel, nehmen Drogen und klauen.«
    Ihre Augen huschten hin und her. Ich biß mir auf die Zunge und nahm sie in den Arm.
    »Tut mir leid, das war dumm.«
    »Nein, die Wahrheit tut eben weh, das ist alles.« Sie hielt meine Hand eine Weile und tätschelte sie. »Wahrscheinlich sollte ich dir sagen, daß sie auch mich irgendwann erwischt haben – beim Ladendiebstahl. Eine Strumpfhose. Im Tottenham Magistrates Court haben sie mir deswegen zwanzig Pfund Strafe aufgebrummt. Es war schrecklich.« Sie lächelte hastig. »Aber du hast recht, ich kann wenigstens rechnen, die Schulbildung heutzutage kann man vergessen. Tja, das wär’ wohl noch was, was ich nie so richtig in den Griff gekriegt hab’ – meine Karriere als Lehrerin.« Sie sah mich an. »Ich möchte was erreichen, James, etwas Greifbares, und wenn’s mich umbringt.«
     
    Nach der Aufregung der ersten Tage begann ich mich zu fragen, was ich mit dem Bewußtsein anstellen sollte, daß ich nicht mehr allein war. Ich unternahm lange Spaziergänge in Hampstead Heath. Wenn ich wieder nach Hause kam, machte Daisy mir eine Kanne Tee. Der Gedanke daran, daß jemand sich daran erinnerte, wie viele Stück Zucker ich nahm, rührte mich. Ich beantwortete ihre Fragen, welches Brot ich mochte, was ich am Abend aß und wo sich die nächste Bäckerei befand.
    »Weißt du, du mußt das wirklich nicht machen.«
    Sie hielt die Hände hoch. »Nimm mir nicht die Chance, erwachsen zu werden. Ich hab’ kapiert, daß alles nur einen Sinn hat, wenn man einem anderen Menschen nützlich ist. Ich möchte nützlich sein, ja, ich möchte sogar benutzt werden.«
    »Aber heißt das nicht, daß auch wir jetzt bei der traditionellen Rollenverteilung von Mann und Frau angekommen sind?«
    »Sei bloß nicht so spöttisch! Ja, ja, ich gebe zu, daß man alles politisieren kann, wenn man möchte. Aber fangen wir mal damit an, daß ich mein Bedürfnis, nützlich zu sein, befriedige, und dann sehen wir weiter.«
     
    Wahrscheinlich vergaßen wir beide tatsächlich eine Weile, daß unsere Idylle nur möglich geworden war, weil jemand Oliver Thirst umgebracht hatte. Doch dann kam natürlich George Holmes und erinnerte uns wieder daran.

[7]
    Wir waren in meinem Arbeitszimmer, das groß genug war, um uns als Wohnzimmer zu dienen. Daisy saß auf einem neuen Sofa unter dem van Gogh, den ich nicht mehr so wie früher sehen konnte, seit sie sich darüber lustig gemacht hatte. Eine alte Strickjacke über ihrem dünnen Baumwollkleid schützte sie vor dem frischen Frühlingslüftchen.
    Sie nähte gerade einen Knopf an eins der kragenlosen Hemden, die ich bei Gericht trug. Sie hatte eine Brille auf der Nase, die sie jetzt zum Lesen und für die Nähe brauchte. Ab und an sah sie mich über ihren Rand hinweg an. Ich las wieder einmal Anna Karenina

Weitere Kostenlose Bücher