Eine private Affaere
daß einer von uns beiden nicht mehr viel Zeit hatte, doch das sagte ich Daisy nicht. Statt dessen sagte ich alle Termine ab. Zwei Wochen lang genossen wir die Zeit zwischen Verbrechen und Strafe, und ich merkte, daß ich Geschmack an den verbotenen Früchten fand. Obwohl Daisy wußte, daß ihr Telefon abgehört worden war, schien sie sich zum Glück nicht bewußt zu sein, daß die Maschinerie des Gesetzes in Gang gekommen war und sich langsam aber sicher von Scotland Yard quer durch London den Hügel nach Hampstead hinauf in Bewegung setzte.
Es amüsierte mich, wie schnell Daisy sich daran gewöhnte, in meinem Haus zu wohnen und meinen Jaguar zu fahren. Sie beklagte sich weiterhin über die Protzigkeit des Wagens, gab aber zu, daß sie seiner Behaglichkeit und seiner Schnelligkeit gegen ihren Willen zum Opfer fiel. Das Fahren lag ihr weit mehr im Blut als mir. Wenn sie nervös war, fuhr sie stundenlang durch die Gegend, um sich zu beruhigen.
Sie hatte sich verändert. Als sie am Samstag nach seinem Tod mein Haus betreten hatte, waren mir ihre Beobachtungen wie ein Echo aus der Vergangenheit erschienen. Aber das war wohl nur ein guter Bluff gewesen. Elf Jahre sind eine lange Zeit, auch wenn es um Slogans zur Sexualität geht.
Aus den leidenschaftlichen Überzeugungen ihrer Jugend waren schließlich ein paar vorgefertigte Meinungen geworden, die sie Fremden bereitwillig erklärte: Für dich bin ich so und so. Nach den ersten ein oder zwei Tagen der Unsicherheit merkte ich, daß ihre eigenen Ansichten sie langweilten. Immer wieder hielt sie mitten im Satz inne und seufzte. Mehr als einmal sagte sie: »Ich weiß es nicht mehr so genau.«
»Ich auch nicht.«
»Ich hab’ einen großen Teil meines Lebens damit zugebracht, mich über Dinge zu ärgern. Ich hab’ mit all meinen Freunden gebrochen, und meine Männerbeziehungen sind samt und sonders ein Desaster gewesen. Früher hab’ ich immer den anderen die Schuld gegeben. Jetzt mache ich mir darüber so meine Gedanken. Wenn das hier eine Chance ist, eine richtige Chance, etwas richtig zu machen, dann laß es uns in Gottes Namen versuchen.«
Manchmal hatte ich tagsüber Rückenschmerzen, was wohl auch damit zusammenhing, daß ich mich wieder sexuell betätigte. Ich ertappte Daisy dabei, wie sie mich anstarrte, wenn ich die Hände ins Kreuz stemmte, um den Schmerz zu lindern. Diese und ähnliche Erinnerungen an Thirsts Einfluß auf unser beider Leben umgaben uns wie Minenfelder. Doch wie aufgrund einer unausgesprochenen Abmachung redeten wir nie darüber. Daisy massierte mir nur vorsichtig den Rücken.
Nachdem sie vier Tage bei mir gewesen war, entdeckten wir beide, daß wir weder die Menschen waren, die wir vor mehr als zehn Jahren gewesen waren, noch die Leute, die wir unserer Ansicht nach hätten werden müssen. Nicht ohne Schadenfreude erklärte ich ihr, daß ich einen kleinen, aber aktiven Freundeskreis hatte, der mir in den vergangenen zehn Jahren dabei geholfen hatte zu überleben.
»Dann bist du also kein solcher Einzelgänger mehr?«
Sie hingegen war in der Zwischenzeit zur Einzelgängerin geworden.
»Ich habe eine Zeit durchlebt – es waren vielleicht drei Jahre –, in der ich niemandem mehr vertraut habe. Frauen nicht und Männern nicht.«
»Na so was, du bist eine Einsiedlerin. Und dabei hatte ich früher immer das Gefühl, daß ich einen gesellschaftlichen Funktionsfehler habe.«
Es wurde mir schmerzlich klar, daß sie nicht ohne Schaden davongekommen war. Im Gegensatz zu früher faßte sie harmlose Fragen als Angriff auf. Es machte ihr nichts aus, allein im Haus zu sein; sie begrüßte es sogar, wenn ich ohne sie in Hampstead Heath spazierenging. Aber sie ging ungern allein auf die Straße. Auf merkwürdige Weise erinnerte sie mich an Exsträflinge – sie achtete übertrieben wachsam auf reale wie eingebildete Bedrohungen, und ihre Augen huschten auch bei harmlosen Äußerungen hin und her. In dem Maße, wie wir unsere körperliche Vertrautheit wiederaufbauten, entdeckte ich auch die physischen Schäden. Ihre Finger, die früher gerade gewesen waren, waren nun krumm, und unter ihrem Kinn befanden sich merkwürdige Narben. Wenn ich die Antwort nicht gekannt hätte, hätte ich sicherlich gefragt: »Welches Monster hat dir das angetan?«
Am fünften Tag brach sie in meinen Armen wieder in Tränen aus.
»Er ist tot, Daisy, es ist vorbei.«
»Deshalb kann ich jetzt auch weinen. James, ich kann’s noch gar nicht glauben – es ist einfach zu
Weitere Kostenlose Bücher