Eine private Affaere
untypisch, Kleines.‹«
»Na ja, vielleicht ist das schon ein bißchen beengend, aber …«
»Ich will dir eins über meinen Vater sagen. Einmal hat man ihn gebeten, ein psychiatrisches Krankenhaus in Vermont zu leiten, weil er einen Artikel über Katatonie veröffentlicht hatte. Seiner Meinung nach handelt es sich dabei um einen Abwehrmechanismus, den man durchbrechen kann. In dem Krankenhaus wimmelte es nur so von Extremfällen, kriminellen Psychopathen – und natürlich Katatonikern. Er hat das als Herausforderung begriffen – wie besiegt man die Katatonie auf die amerikanische Art. Er hat sich sechs der leichteren Fälle vorgenommen und ihnen gesagt, daß sie erst wieder was zu trinken bekämen, wenn sie etwas sagten. Aber Katatoniker reden nun mal nicht. Dann hat er ihnen eine starke Salzlösung injizieren lassen. Nach einer Stunde waren sie fast verdurstet.«
»Und, was ist passiert?«
»Fünf von ihnen haben um Wasser geschrien. Die Sechste hat es so lange ausgehalten, bis ihr Gehirn irreversibel geschädigt war. Sie hat Katatonie gegen Koma eingetauscht und ist innerhalb eines Jahres gestorben. Mein Vater hat das Experiment als persönlichen Triumph betrachtet. Natürlich haben die fünf Überlebenden sofort wieder mit dem Reden aufgehört, als sie das Wasser getrunken hatten, aber mein Dad hat der APA – der American Psychological Association – den Versuch als Erfolg verkauft. Das ist der Mann, der mich erzogen hat.«
»Hat er deswegen keine Probleme gekriegt?«
»Ne. Das gesamte Krankenhauspersonal stand hinter ihm. Sie haben’s vertuscht. Wer würde sich schon für die Rechte einer toten Katatonikerin einsetzen? Solche Greueltaten passieren doch tagtäglich in amerikanischen Klapsmühlen.«
»Hat er mit dir auch so was angestellt?« fragte ich und merkte, wie langsam die Wut in mir hochstieg.
Sie hob den linken Arm und zeigte mir die Narbe, die an der oberen Seite ihres Unterarms verlief. Ich hatte sie früher schon einmal danach gefragt, doch damals hatte sie sich geweigert, darüber zu reden.
»Hat er das gemacht?«
»Nein, das war ich selber. Am liebsten hat er mich mit Hausarrest bestraft – im Heizungskeller. Nicht nur Stunden, sondern Tage, manchmal sogar eine Woche. Und dann hat er mich hinaus in die Sonne gelassen, damit ich dachte, es sei vorbei, aber er wollte bloß, daß ich eine Ahnung davon kriege, was ich versäume. Eine Stunde später war ich dann wieder allein in der Dunkelheit. Einmal – da war ich ungefähr dreizehn – hab’ ich gemerkt, daß ich durchdrehe. Ich hab’ gewußt, daß ich ihm einen Schreck einjagen muß. Also hab’ ich den Arm gegen eins der heißen Rohre gedrückt, bis ich mich verbrannt habe. Ich hab’ ihn so lange dort gelassen, bis die Wunde richtig groß war. Ich wußte, er hatte Angst, daß irgend jemand ihn der Kindesmißhandlung verdächtigt. Es hat funktioniert. Danach hat er mich nie wieder eingesperrt, aber er hat andere Methoden gefunden, und ich wär’ tatsächlich fast übergeschnappt. Wenn Mom nicht gewesen wär’, wär’ ich jetzt in der Klapsmühle. Sie hat mich nie bestraft oder sich ein Urteil erlaubt. Sie hat mir immer nur ihre Liebe gegeben.« Sie lächelte. »Genau wie du, Jimmy. Tut mir leid, wenn ich eklig war wegen Brown. Du hast dir bis jetzt auch nie ein Urteil über mich erlaubt. Ich könnt’s nicht ertragen, wenn du jetzt damit anfangen würdest. Das ist der Deal, Darling. Wenn du möchtest, daß ich gehe, dann pack’ ich meine Siebensachen. Aber wenn du willst, daß ich bleibe, bildest du dir kein Urteil über mich. Einverstanden?«
»Klar.« Ich rieb mir das Kinn. »Aber wie lange braucht ein Mensch, um eine solche Kindheit zu verarbeiten?«
Sie starrte mich an, blinzelte, lächelte. »Ach, Baby, du bist ja so süß. Ich weiß, was du glaubst. Du meinst, es gibt einen Augenblick in jedem Leben, wo man erwachsen wird, und ab da ist dann alles in Ordnung, in Ewigkeit, Amen. Stimmt doch, oder? Na, gib’s schon zu.«
Da der Zwischenfall keine ernsthaften Folgen hatte, verblaßte er immer mehr, schmolz dahin und reinigte sich schließlich in der Hitze unserer Leidenschaft. Doch nach außen hin wirkte Daisy eine Weile niedergeschlagen, und sie ging weniger aus, auch wenn ich arbeitete. Ziemlich oft saß sie nur da und starrte vor sich hin. Und natürlich blieb der Supermarkt immer eine unangenehme Erinnerung, besonders wenn Brown mit gespreizten Beinen neben der Tür stand und uns beobachtete.
Mir wäre es,
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