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Eine private Affaere

Eine private Affaere

Titel: Eine private Affaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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sie bereits genug geleistet hatte in den zwei Jahren, in denen sie in New York Anzeigenkunden geworben hatte. Sie hatte sich damit genug Geld für ihr erstes Jahr in Warwick verdient, und danach bekam sie dank ihrer englischen Mutter ein britisches Stipendium.
    »Willst du heut’ abend lernen?« lautete ihre charmante Frage. Das hieß, wenn ich nicht lernen wollte, würde sie natürlich bleiben, um mit mir zu schlafen. Wenn ich jedoch arbeiten mußte, beschäftigte sie sich allein. Sie war so gesellig, daß es mich eingeschüchtert hätte, wenn nicht ein Großteil ihrer Aufmerksamkeit mir zugute gekommen wäre. Sie hatte die Fähigkeit, Leute kennenzulernen und aus heiterem Himmel eine Party zu veranstalten. Sie gewann die anderen Bewohner des Hauses, eine Gruppe ziemlich schwermütiger Literaturstudenten, die sie mit Haschisch und LSD versorgten – gratis, soweit ich das beurteilen konnte –, schnell für sich. Wenn ich lernte, verschwand sie ein paar Stunden lang nach unten und kehrte mit süffisantem Grinsen zurück. Dann war da noch eine erlesenere Gruppe von Leuten mit perfekter Aussprache und goldener Zukunft, die ritten, mit MG-Kabrios Spritztouren aufs Land machten, am Wochenende zu Partys nach Knightsbridge fuhren und ein rücksichtslos extrovertiertes Leben führten. Diese Leute liebten Daisy und hielten sie für die richtige Sorte Amerikanerin (ich bezweifle, daß sie mit ihnen ihre Mission, die Vagina zu entmystifizieren, teilte). Sie schienen sich an der Launenhaftigkeit zu ergötzen, die sie ihnen gegenüber an den Tag legte. Wenn ihre Haschisch rauchenden Freunde von unten sie langweilten, brauchte sie nur zum Telefonhörer zu greifen, und innerhalb weniger Minuten wurde sie von einem jungen Gentleman mit Halstuch und Sportsakko und einer Gruppe fröhlich singender Leute, die alle aussahen, als seien sie den dreißiger Jahren entsprungen, zu einer Spritztour abgeholt. Sie wußte genau, wie bedrohlich mir diese Ausflüge manchmal vorkamen, und ging genau richtig mit mir um. Ich habe nie wieder eine Frau erlebt, die die Eifersucht ihres Liebhabers so anmutig ableitete, und zwar indem sie mich die Stärke ihrer Bindung unter der Gürtellinie fühlen ließ, dort, wo sie zählt.
    Nach und nach lernte sie die englischen Idiome, und ihr Akzent veränderte sich. Sie konnte gut nachahmen; bereits am Ende des Jahres beneidete ich sie um ihre Fähigkeit, mühelos die soziale Leiter hinauf- und herunterzuklettern, indem sie die Vokale modulierte. Sie entwickelte den Charakter eines spröden englischen Mädchens, in den sie immer dann schlüpfte, wenn es ihr günstig erschien. Doch wenn es um Intimes ging, kehrte sie wieder zum Amerikanischen zurück. Sogar diese Seite schien eine ganze Reihe von Facetten zu besitzen.
    Ich sagte: »Manchmal verändert sich sogar dein amerikanischer Akzent. In meinen Ohren klingt er nach New York und dann wieder ganz anders.«
    »Ja? Ist dir das aufgefallen? Eigentlich komme ich aus New England, aber die Zeit, die ich in Manhattan in der Werbung verbracht habe, hat mich irgendwie geprägt. New York ist für mich eine Stimmung. Genau wie England, wenn ich’s mir recht überlege.«
    »Ich beneide dich darum, wie behende du von einem Akzent zum anderen wechseln kannst, während ich mich abrackere, innerhalb der britischen Gesellschaft nur ein bißchen höher zu kommen.«
    »Abrackern hilft nichts, Baby. Relax.«
    Trotz ihres guten Ratschlags trieb mich eine tiefsitzende Unsicherheit dazu, mich für den Augenblick zu rüsten, in dem ihr klar wurde, was für ein Nichts ich innerhalb des britischen Klassensystems war.

[10]
    Doch als es soweit war, war es ganz anders, als ich erwartet hatte.
    Es war Anfang Juni, kurz vor meiner Abschlußprüfung. Alle Vorlesungen und Seminare waren vorbei, und wir prügelten uns allein das Wissen für die Prüfung ins Hirn. Ich hörte, wie Daisy draußen vor der Tür sagte: »Es ist hier.« Dann folgte heftiges Klopfen. Ein Mann Anfang Vierzig mit militärischem Schnurrbart und einem leichten, karierten Anzug stand draußen. Daisy versuchte, nonchalant zu wirken, sah aber mißmutig aus.
    »Laß ihn lieber rein.«
    »Wollen Sie es ihm sagen, Miss Smith, oder soll ich das erledigen?« fragte er, nachdem er eingetreten war.
    »Er hat mich erwischt, wie ich eine Schachtel Tampons gestohlen habe. Er ist der Filialleiter des Supermarkts und heißt Mr. Brown. Er zieht dich mit in die Sache hinein, um seinen Standpunkt klarzumachen, mich zu demütigen und um

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