Eine private Affaere
arbeiten, wenn ich nur mit dir Zusammensein könnte. Nach der Revolution.«
»Tatsächlich?«
Sie zupfte einen Fussel von ihren Jeans, dann sah sie mir plötzlich in die Augen. »Bin ich wirklich so dumm, James? Oder gefällt es dir einfach, mich so aussehen zu lassen?«
»Laß uns in den Speisewagen gehen«, sagte ich. »Ich brauch’ einen Kaffee.«
»Du kriegst nur einen, wenn er aus Nicaragua kommt.«
Ich sah zum Fenster des Speisewagens hinaus, während der Zug die alte, gewundene Strecke entlangratterte: East India Docks, Bow, Stratford, Barking – alles Orte, die für mich genauso alt, verkommen und irgendwie ewig waren wie die ersten Vororte von Rom oder Athen. Ein paar Stationen hinter Romford stiegen wir aus und nahmen einen Bus in den kleinen Ort, in dem Hogg uns erwartete.
Wir waren kaum hundert Kilometer weg von London, und schon spürte ich, wie mich die Agoraphobie überkam. Die Leute, die wir sahen, schienen in hirnloser Trägheit erstarrt. Der Bus war, abgesehen von Daisy und mir und einer alten Dame, die uns anstarrte, leer. Der Busfahrer sagte »Schätzchen« zu der alten Dame, wandte sich aber mit säuerlichem Gesichtsausdruck ab, als Daisy sich mit ihrem nettesten Lächeln von ihm verabschiedete. Warum wollte sie unbedingt, daß ein mürrischer Busfahrer sie mochte?
Hogg wartete an der Bushaltestelle auf uns. Er trug ein Polohemd.
»Gerade rechtzeitig zum Mittagessen«, strahlte er.
Der alte, eckige Kirchturm war das höchste Bauwerk des Dorfes und von der Bushaltestelle aus deutlich zu sehen. Wir gingen an teuren neuen Autos und alten Cottages aus Stein vorbei, deren friedliches Nebeneinander mich an Anzeigen aus Country Life erinnerte.
Alle Leute, an denen wir vorbeikamen, taten offenbar genau das, was Leute auf dem Land so tun: Eine Hausfrau mittleren Alters kümmerte sich um ihre Bienen, ein Mann mit Cordhose schnitt eine Hecke zu, ein junges Mädchen in Reithose und -stiefeln ging über ein Feld auf ein Tor zu. Wir sahen sogar zwei Frauen, die sich über einen Zaun hinweg unterhielten.
Ich hätte erwartet, daß ein Pfarrer alle kannte, doch niemand sprach uns an. Abgesehen von den beiden Frauen schienen die Leute überhaupt nicht miteinander zu reden. Die Menschen hier gingen schweigend ihren Geschäften nach.
»Die meisten Leute hier sind Wochenendgäste«, sagte Hogg. »Banker, Börsenmakler, Anwälte und ihre Familien, die sonst in der Stadt wohnen. Die meisten Häuser stehen unter der Woche leer.«
Wir gingen einen kleinen Weg hinauf, der zum Pfarrhaus führte.
Es sah merkwürdigerweise genauso aus, wie ich mir ein englisches Pfarrhaus auf dem Lande immer vorgestellt hatte. Ein neugotischer Steinbogen bildete den Eingang zu einer klosterähnlichen Nische, wo man seine Gummistiefel ausziehen konnte. Hohe Räume mit Erkerfenstern gaben auf der einen Seite den Blick frei auf einen kleinen Hügel – ein gepflegter Rasen mit Zypresse und Eiche – und den eckigen Kirchturm. Das Gotteshaus hatte man Stück für Stück hinzugefügt, so daß es ein Beispiel der Kirchenarchitektur im Wandel der Jahrhunderte darstellte. Der neueste Anbau, der nicht direkt mit dem Gebäude verbunden war, aber geschmacklos nahe daneben stand, beherbergte eine Garage für den alten Morris des hiesigen Geistlichen.
Die Räume auf der anderen Seite des Hauses gingen auf einen winzigen Friedhof, wo man ein paar Tränen über die kleine Nell vergießen konnte, die 1889 im Alter von fünf Jahren zu Grabe getragen wurde, oder wo man sich Gedanken über eine Choleraepidemie machen konnte, die 1903 den achtjährigen Jack Hord und zwölf andere innerhalb einer Woche dahinraffte.
Daisy fühlte sich sofort zu Hause. Sie bot Hogg an, ihm beim Kochen des Mittagessens zu helfen, doch er sagte, das erledige jemand für ihn.
»Ein Hausmädchen?«
»Nicht ganz.«
Diesmal sah ich mir Hogg genauer an. Er war älter, als ich gedacht hatte, und hatte Falten um Augen und Mund, die mir im Pub nicht aufgefallen waren. Seine Haare waren grauer, als ich sie in Erinnerung hatte, und hinter seinem Drang, sich ständig zu entschuldigen und anderen gefallen zu wollen, verbarg sich Vorsicht.
Ich empfand ihn irgendwie als gefährlich, wie es Chamäleons manchmal sein können, doch mit Daisy verband ihn etwas: eine teure Erziehung, gegen die sich beide wehrten, und ein unheimlicher Instinkt für die Rollen, in die sie schlüpfen mußten.
Ich hatte nicht allzuoft Gelegenheit, sie in gesellschaftlichem Rahmen zu sehen. Ich
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