Eine private Affaere
während sie die Ratte streichelte. »Wissen Sie, sie ist eben durch und durch Amerikanerin. Und die haben nicht die gleichen Einstellungen und Traditionen wie wir.«
»Das ist nicht der Grund, Mom, und das weißt du auch«, sagte Daisy.
»Nun, ihr Vater hat sehr viel von Disziplin gehalten und sie als Kind im Heizungskeller eingesperrt. Offenbar waren dort Ratten. Jedenfalls hat sie jetzt Angst davor.«
Thirst sah mich an.
»Das hab’ ich nicht gewußt«, sagte ich. »Ich meine, die Sache mit den Ratten.«
Mittlerweile hatte Daisy sich ein wenig beruhigt. Sie setzte sich neben mich und verzog angewidert das Gesicht, während ihre Mutter mit Lord Denning spielte.
»Tja, Angst«, sagte Daisy. »Merkwürdig. Völlig irrational. In meinem Gehirn ist das kleine Tier so groß wie ein Löwe.«
»Nager können nicht so groß werden«, sagte Thirst. »Früher schon. Man hat das Fossil einer Ratte gefunden, die war so groß wie ein kleiner Stier.«
Daisy bekam eine Gänsehaut.
»Woher weißt du das?«
»Nager sind die überlebensfähigsten Säugetiere. Fünfzig Prozent der Säugetiere sind Nager. Hast du gewußt, daß in Amerika auf jeden Menschen eine Ratte kommt? Das macht über zweihundert Millionen.«
»Hast du dich damit so genau auseinandergesetzt?«
»Wie interessant«, sagte Mrs. Hawkley. »Als Daisy mit der höheren Schule angefangen hat, habe ich gehofft, daß sie auch so interessante Dinge anbringen würde, aber sie hat lieber Marihuana geraucht und über Sex geredet.« Sie strahlte Thirst an.
»Ratten muß man wirklich bewundern«, fuhr Thirst fort. »Die sind wie Minigangster. Ihr ganzes Leben ist darauf ausgerichtet, den Menschen zu berauben. Sie fressen alles, was wir essen. Und wenn sie genug von uns haben, bringen sie uns die Pest. Durch den Schwarzen Tod sind fünfundzwanzig Millionen Menschen umgekommen. Dagegen sieht Hitler doch wie ein Anfänger aus.« Er merkte, daß ich ihn ansah. »Steht in der Encyclopaedia Britannica . Letzte Woche hab’ ich eine vollständige Ausgabe irre billig gekriegt.«
»Wie billig?«
Er zwinkerte mir zu.
»Als der Krieg anfing«, sagte Mrs. Hawkley, »habe ich ein Militärlager gleich bei Dagenham, dem Ort, wo wir wohnten, besucht. Manchmal haben die Jungs ein Spiel gespielt, das ging so: Man bindet sich die Hosenbeine mit einem Strick zu und steckt oben ein Frettchen rein. Wer’s am längsten aushält, gewinnt. Das Geheimnis bestand natürlich darin, sich nicht zu bewegen, damit das Frettchen keine Angst bekam und keinen ernsthaften Schaden anrichtete.« Sie hielt sich die Hand vor den Mund.
»Ich glaube, du bist beschwipst, Mom«, sagte Daisy.
Mrs. Hawkley kicherte. »Da könntest du recht haben, Liebes.« Sie schenkte uns ihr großmütigstes Lächeln.
»Machst du mit bei dem Spiel, James?« fragte Thirst. Zuerst verstand ich nicht, was er meinte. Er nahm Mrs. Hawkley die Ratte aus der Hand. »Hat jemand ’ne Uhr?«
»James, tu’s nicht«, sagte Daisy.
»Ja, ja, ich hab’ eine.« Mrs. Hawkley zeigte uns ihre Uhr.
Ich sah die vier ständig knabbernden Schneidezähne unter der zuckenden Nase des Nagers an. Thirst öffnete den Knopf seiner Jeans und zog den Reißverschluß ein paar Zentimeter herunter. Dann steckte er die Ratte mit dem Kopf nach unten in die Hose. Er fing sofort an, von einem Bein auf das andere zu hüpfen und zu schreien. Mrs. Hawkley brach in schallendes Gelächter aus und verspritzte ein bißchen Champagner. Sogar Daisy lachte mit einer Hand vor dem Mund.
»Wie lang?« brüllte Thirst.
»Eine Minute vierzig Sekunden.«
Er tanzte noch ungefähr eine Minute unter dem Baum herum und zog dann die Ratte am Schwanz heraus. Dann hielt er sie mir hin. Die Ratte schien einen Schock erlitten zu haben. Ihre Schnurrhaare zitterten heftig, und ihr Leib krümmte sich zusammen.
»Es war ein Vorteil für dich, daß du angefangen hast«, sagte ich.
»James, wenn du dir dabei weh tust …« Daisy grinste ihre Mutter an.
Mrs. Hawkley lächelte. »Nur mutige Jungs haben Chancen bei den Damen, James«, sagte sie.
Ich trug eine ziemlich lockere Cordhose. Sobald das Tier in meiner Hose war, tat ich genau das, was Thirst getan hatte: Ich hüpfte von einem Bein aufs andere und schrie »Ah!« und »Oh!« und »Ih!«, während Lord Denning um meine Genitalien wuselte. Zum Glück fand die Ratte den Weg ins linke Hosenbein und hinaus ins Freie, wo Thirst sie mit geübter Hand einfing.
»Oliver hat gewonnen«, sagte Mrs. Hawkley prustend.
Daisy
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