Eine Rose fuer Captain Sparhawk
jedem Fall wird sofort gemeldet, wenn ein Segel erspäht wird, und wenn wir das Schiff erwischen und zu unserer Prise machen können, belohnt der Kapitän den Späher reichlich.“
„Und nimmt Ihr Kapitän das Geld eigenhändig aus den Taschen seiner armen Opfer, oder muss der Mann vom Ausguck diese Aufgabe selbst übernehmen?“
Gideon runzelte die Stirn. „Er bezahlt es aus seiner eigenen Tasche, Miss Everard“, erklärte er unmissverständlich. „Ich habe es oft genug mit eigenen Augen gesehen. Nebenbei bemerkt, Nick – ich meine, Captain Sparhawk – hält sich an die Regeln, so gut er eben kann. Er billigt keine Plünderungen, wie es manche Kapitäne von Kaperschiffern tun. Er schickt alles nach Charles Town zum Prisengericht, und danach erst verlangt er seinen Anteil.“
Gedankenverloren nickte Rose. Sie hatte ihre Worte nicht so scharf klingen lassen wollen, aber in der Stunde, seit sie an Deck gekommen war, hatte sie von Lieutenant Cole nichts als Lob über seinen Kapitän gehört, und inzwischen rechnete sie beinahe damit, dass er ihr übers Meer wandelnd entgegenkam, als wäre er wirklich der Heilige, als den Cole ihn beschrieb.
Falls Captain Sparhawk überhaupt die Absicht hatte, sich an diesem Morgen zu zeigen. Sie vermutete, dass es beinahe Mittag sein musste, wenn sie das Läuten zum Wachwechsel richtig gedeutet hatte, und noch immer war er nicht an Deck gewesen. Allerdings wusste sie nach dem, was sich in der vergangenen Nacht zwischen ihnen ereignet hatte, nicht genau, was sie zu ihm sagen sollte, falls er überhaupt auftauchte. So unauffällig wie möglich sah sie sich wiederholt zu dem Fallreep um, das zu seiner Kabine führte.
„Falls Sie nach dem Kapitän Ausschau halten, werden Sie sich eine Weile gedulden müssen“, meinte Gideon. Er konnte so mühelos ihre Gedanken erraten, dass sie errötete. „Captain Sparhawk musste lange aufbleiben und sich um das Schiff kümmern, und ich rechne nicht so bald mit seinem Erscheinen.“
„Ich hätte nicht gedacht, dass Captain Sparhawk so beschäftigt ist“, entgegnete Rose. Ich habe es geschafft, rechtzeitig aufzustehen, dachte sie verärgert, egal wie viele schlaflose Stunden er mir mit seiner fixen Idee, Lily betreffend, verschafft hat. Von ihm konnte sie zumindest dasselbe erwarten. „Dieses Schiff scheint auch ganz wunderbar ohne ihn zurechtzukommen.“
Wenigstens das stimmte. Vor allem, wenn man berücksichtigte, dass die Angel Lily sich erst seit so kurzer Zeit in der Hand der Amerikaner befand, schien zwischen dem Schiff und seiner Besatzung eine beinahe perfekte Harmonie zu herrschen. Jedes Tau war sorgfältig zusammengerollt, jedes ungenutzte Segel genauestens gerefft, und alle Seeleute schienen die Befehle des Lieutenants schon vorauszuahnen, so selbstverständlich folgten seinen Anweisungen. Die Angel Lily glitt so ruhig unter dem wolkenlosen Himmel durch die Wellen, wie Rose es niemals zuvor bei einem Schiff gesehen hatte.
„Vielen Dank, Miss.“ Gideon strahlte. „Das ist einer der Gründe, warum der Kapitän so erfolgreich ist. Zweiundzwanzig Prisen gehen auf sein Konto, Miss, mehr hat kein anderer Yankee-Kapitän.“
„Zweiundzwanzig!“ Von ihrem Vater wusste sie, dass selbst die erfolgreichsten englischen Kaperfahrer nicht mehr als ein halbes Dutzend amerikanischer und französischer Handelsschiffe aufzuweisen hatten.
„Zweiundzwanzig“, wiederholte Gideon mit offensichtlicher Befriedigung. „Da kommt einiges zusammen, wenn man es auf zweihundert Mann aufteilt! Wenn wir am Ende ausbezahlt werden, wird er jeden von uns als reichen Mann nach Hause schicken, und deswegen ist die Besatzung glücklich. Aber das ist noch nicht alles. Er hat die besten Seeleute, die an der Küste zu finden sind, und er weiß, wie er mit ihnen umgehen muss. Respekt und Toleranz, darin besteht sein Geheimnis, Miss. Man muss energisch sein, aber jeden Mann so behandeln, wie man selbst gern behandelt werden würde. Sie kommen aus England, und dort regiert König George. Man kannnicht erwarten, dass Sie das verstehen.“
Rose wollte schon widersprechen, besann sich jedoch anders und schwieg. Wenn der rothaarige Lieutenant seine Worte so gemeint hatte, wie sie es vermutete, verdiente sie diese Behandlung. Er hatte recht. Sie verstand nicht, warum die Amerikaner diesen Krieg führten, sondern wiederholte nur, was sie von ihrem Vater und von seinen Freunden gehört hatte.
Respekt und Toleranz waren Tugenden, die auch den Engländern heilig sein
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