Eine Rose fuer Captain Sparhawk
könnte er die Brigg entern. Er hatte sich noch nie vor einem Kampf gefürchtet, und dieses Schiff mitsamt der Ladung wäre es wert.
Aber Roses Anblick ließ ihn einen Moment lang alles vergessen. Sie stand vor ihm, wirkte zerbrechlich im fahlen Licht der aufgehenden Sonne, während sie ihn mit ihren Augen anflehte. Sie war trotz allem zurückgekommen. Er hatte sie gebeten, bei ihm zu bleiben, und sie hatte es getan, und jetzt verspürte er nur noch den einen Wunsch, sie in die Arme zu ziehen.
Mit einiger Verspätung tauchte Gideon hinter Rose auf und packte sie am Arm. „Kommen Sie, Miss Everard“, sagte er verärgert. „Sie haben schon genug Schwierigkeiten verursacht.“
„Nein, Mr Cole, ach, bitte nicht!“ Sie versuchte, sich loszureißen, und wandte sich zu Nick um. „Lass nicht zu, dass er mich mitnimmt, Nick! Ich will nicht eingesperrt und mit meinen Sorgen allein gelassen werden. Ich weiß, es ist gefährlich, aber ich will hier bei dir sein!“
Nick musste all seine Willenskraft aufbringen, um nicht zu lächeln. Sie war zurückgekommen, weil sie bei ihm sein wollte, und er stellte sich vor, wie schön es sein würde, sie hier zu haben, warm in seinen Arm geschmiegt, während er ihr alle Feinheiten der Jagd und des Kaperns erklären konnte.
Doch Nick erinnerte sich an Lilys Frage: Lag ihm wirklich so wenig an Rose, dass er weiterhin ihr Leben aus so selbstsüchtigen Gründen aufs Spiel setzte? Er betrachtete ihr Gesicht mit den rosigen Wangen, dann zwang er sich, über das Meer hinweg auf das feindliche Schiff zu sehen. Eine Minute noch, vielleicht zwei, und sie wären nahe genug, um einen Warnschuss abzufeuern, der hoch oben in ihre Takelage zielte.
„Nick, bitte“, sagte Rose mit leiser Stimme, sodass nur er allein sie hören konnte. „Ich bin gekommen, weil ich dich gern mag und es mir nicht egal ist, was mit dir geschieht.“
Etwas in seinem Innern schien sich zusammenzuziehen. Sie mochte ihn. Sie mochte ihn. Und ehe er seine Meinung noch einmal ändern konnte, nickte er Gideon zu, damit er Rose gehen ließ, und streckte ihr seine Hand entgegen. Sie schmiegte sich an ihn, genau wie er es erwartet hatte. In ihrer Kleidung und ihrem Haar lag noch der Geruch des Rauches, doch ihren Körper spürte er weich und warm an seinem.
„Du bist ein boshaftes, gerissenes Frauenzimmer, weil du mir so etwas antust“, sagte er zärtlich. „Jetzt achte darauf, dass du dich von allem Unheil fernhältst und möglichst nahe bei mir bleibst.“
„Jawohl, Captain.“ Rose lächelte zufrieden. „Das ist genau das, was ich ohnehin vorhatte.“
Nick rief Gideon den Schießbefehl zu, und der gab den Befehl weiter, bis er die Männer an den Geschützen erreichte. Lily hatte versprochen, dass er sicher sein würde. Wenn Rose sich nahe bei ihm hielt, würde dann der Schutz ihrer Schwester nicht auch auf sie übergehen? Ihr würde nichts geschehen. Er würde es nicht zulassen.
Der Schuss landete hoch in der Takelage der Brigg. Langsam fielen die Marssegel in sich zusammen und verfingen sich in den Leinen. Mit dem Fernrohr beobachtete Nick die Besatzung der Brigg, die aufgeregt an Deck hin und her zu laufen begann. Er lächelte zufrieden. Panik führte zu einer schlechten Organisation, und ohne Disziplin wären die Geschütze der Brigg nutzlos. Er hob das Glas höher, bis er die Flagge sah, und er erwartete, dass sie eingezogen wurde als Zeichen der Kapitulation.
Rose stieß einen überraschten Schrei aus, als sie zu spät nach dem Seidenschal griff, den der Wind ihr spielerisch vom Kopf gerissen hatte. Der gelbe Schal wurde über Deck geweht, bis er sich schließlich an einem Nagel am Fockmast verfing und dort hängen blieb. Ehe Nick es bemerkte, lief sie ihm nach, die Hand ausgestreckt, um den Schal zu ergreifen, ehe der Wind ihn mit sich fortnehmen konnte.
Als nächstes sah Nick einen hellen Blitz an der Seite der Brigg aufleuchten, kurz darauf hörte er das Geräusch des Kanonendonners. Als Nick entsetzt Roses Namen schreien wollte, explodierte der Fockmast der Angel Lily . Zersplitterndes Holz prasselte mit einem ohrenbetäubenden Donnern auf das Deck hinab.
Und irgendwo lag Rose.
13. KAPITEL
Viele Male hatte Nick sich ausgemalt, wie es sein würde, wenn Rose in seiner Koje lag, auf seinem Laken und seinem Kissen, aber so hatte er es sich niemals vorgestellt. Jetzt lag sie da, viel zu still, ihre wunderbaren grauen Augen geschlossen. Und ihr Gesicht war so bleich wie das Tuch, auf dem sie ruhte. Ihr
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