Eine Rose im Winter
drei Jahren von dort hierher zogen.«
»Kamen Sie etwa des Klimas wegen hierher?« fragte er, und seine klaren grünen Augen schimmerten belustigt.
Erienne lachte: »Wenn man an die Feuchtigkeit gewohnt ist, ist es sehr angenehm, hier zu leben. Vorausgesetzt, daß Sie die erschreckenden Gerüchte von Wegelagerern und schottischen Räuberbanden überhören. Sie erfahren viel über sie, wenn Sie lange hier leben. Lord Talbot beklagte sich so bitter über die schottischen Banden und ihre Überfälle auf die Dörfer an den Grenzübergängen, bis mein Vater zuerst als Bürgermeister und danach noch ein Sheriff hier eingesetzt wurden, um den Bürgern und dem Land Sicherheit zu gewähren.« Mit einer Geste des Zweifels spreizte sie die Hände, »ich höre zwar immer noch viele Gerüchte von Banden und Straßenräubern, die morden und rauben, wenn die reichen Leute in ihren Kutschen vorbeifahren, aber das Beste, was mein Vater und der Sheriff bis jetzt erreicht haben, ist, einen Wilderer aufzutun. Und der war noch nicht einmal ein Schotte!«
»Ich werde mich hüten, von meinen schottischen Vorfahren zu sprechen. Sonst sieht man mich noch als einen Straßenräuber oder dergleichen an.«
Ihr Blick war besorgt, als sie ihn ansah. »Vielleicht sollten Sie sich wirklich in acht nehmen und mit meinem Vater darüber nicht sprechen. Er wird immer sehr zornig, wenn das Gespräch auf die irischen und schottischen Clans kommt.«
Der Mann ihr gegenüber neigte leicht seinen Kopf, womit er wohl anzeigen wollte, daß er ihre Warnung beherzigte. »Ich werde mich bemühen, ihn mit solcher Enthüllung nicht unnötig zu verärgern.«
Sie ging vor ihm aus dem Raum und sprach über die Schulter: »Ich versichere Sie, das ist kein familiärer Charakterzug. Ich habe keinen Grund, diesen Menschen zu misstrauen.«
»Das ist ja dann ermutigend.«
Die Wärme seiner Stimme verwirrte Erienne, und sie gab nicht genügend acht auf die Stufen. Ihr Fuß im Pantoffel verfehlte leicht die erste Stufe und brachte sie zum Taumeln, so daß sie beinahe stürzte. Ihr Atem schien in der Kehle zu stocken, aber ehe sie noch reagieren konnte, legte sich ein langer Arm um ihre Taille und stützte sie, bis sie wieder sicher stand. Gefangen an seiner breiten, harten Brust, keuchte sie in atemloser Erleichterung. Schließlich hob sie zitternd ihr Gesicht zu dem seinen. Voller Sorge suchte sein Blick den ihren, bis keine Sorge ihn mehr erfüllte, bis dann ein tiefes Licht darin aufglühte.
»Miß Fleming …«
»Bitte … Erienne …« Ihr Flüstern klang erstickt und wie aus weiter Ferne.
Keiner von ihnen hörte, wie die Haustür unten geöffnet wurde; keiner hörte die Männerstimmen, die durcheinander sprachen. Sie waren in ihrem ganz eigenen Universum gefangen. Und so wären sie noch lange geblieben, hätte nicht ein wütendes Rufen von unten sie zu jähem Erwachen aus ihren Träumen gezwungen.
»Hallo, hier. Was soll das heißen?«
Immer noch wie unter einem Schleier machte Erienne sich frei und blickte hinab in die Halle, von wo ihr Vater und ein anderer Mann erstaunt hinauf starrten. Das augenblicklich düstere Gesicht von Avery Fleming war schon genug, um sie unsicher zu machen; was sie jedoch wirklich in Zweifel über die Richtigkeit ihrer Welt stürzen ließ, war das rohe Gesicht des dünnen, knochigen Fremden, der neben ihrem Vater stand. Er entsprach vollkommen ihrer Vorstellung von Christopher Seton. Er brauchte eigentlich nur noch eine große Warze am Kinn, um die vollkommene Verkörperung ihres menschgewordenen Widersachers ihrer Gedanken zu sein.
Der Ausbruch von Avery Flemings Zorn schien das Haus erbeben zu lassen. »Jetzt frag' ich dich, was das hier bedeuten soll!« Er gab ihr nicht eine Sekunde, ihm zu antworten. Schon schrie er weiter. »Ich geh' nur für einen Moment fort, und was finde ich, wenn ich zurückkomme? Dich mit einem fremden Mann in meinem eigenen Haus herumflanieren … Gerade du!« Avery warf seinen Hut auf den Fußboden, sein spärliches Haar stand ihm zu Berge. »Verdammtes Weib! Betrügst mich in meinem eigenen Haus. Ich! Betrogen von meinen eigenen Blutsverwandten!«
Die Verlegenheit trieb ihr die Röte ins Gesicht. Schnell eilte Erienne die Treppe hinunter und versuchte, ihren Vater zu beruhigen. »Bitte, Vater, lass mich doch erklären …«
»Aaaah, das mußt du nicht«, knurrte er voller Hohn. »Ich kann das alles sehr wohl mit meinen eigenen Augen sehen. Betrug! Jawohl, es ist Betrug. Meine eigene Tochter
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