Eine Rose im Winter
rüberfahr'n zum Bürgermeister und sich seine Tochter ansehn. Sie ist der einzige Mensch in Mawbry, die Mitleid mit dem ollen Ben hat und ihm mal was zusteckt, wenn er an der Hintertür vorbeikommt.« Er hielt die Hand vor den Mund, als er lächelte, und dann rieb er sich die Nase. »'türlich, der Bürgermeister käme mit 'ner Peitsche, wenn er davon wüsste.«
»Sollte ich wirklich eines Tages auf den Gedanken kommen, ein Mädchen zur Frau zu nehmen, werde ich mir deine Vorschläge wohl überlegen.« Die grünen Augen glitzerten über dem Rand seines Kruges, als Christopher einen tiefen Schluck nahm.
»Ach ja, ach ja, passen Sie auf, sie – die vom Bürgermeister – die kriegt keine Mitgift.« Ben erhob warnend einen Finger. »Das kann der Bürgermeister sich nich' leisten. Und da gibt's auch nichts mit Land oder so. Bei Talbot ist das was anderes …« Seine rotgeränderten Augen nahmen jede Einzelheit der wertvollen Kleidung seines Gegenübers auf. »'türlich, vielleicht sind Sie überhaupt nicht auf den Reichtum eines anderen aus, brauchen ihn gar nich'. Aber auch, wenn Sie es sich leisten können. Es gibt einfach kein Land mehr hier.« Er schwieg und hob wieder einen verkrümmten Finger, um sich zu berichtigen. »Ja, ja, außer vielleicht dem alten Kasten da, der vor ein paar Jahren abgebrannt ist. Saxton Hall, ja so heißt er, Herr, aber da sind jetzt wohl nur noch Steine, nicht mal 'ne Tür, in die man reingehn kann.«
»Und warum das?«
»All diese Saxtons wurden umgebracht oder sind weggerannt. Manche sagen, es waren die Schotten, andere glauben das nicht. Vor vielen, vielen Jahren hat man den alten Lord mitten in der Nacht herausgezerrt und mit einem schottischen Schwert durchbohrt. Seine Frau und auch seine Söhne konnten entfliehen, und niemals mehr hat man von ihnen je was gehört, bis vor … oh … lange … ungefähr drei … oder waren es vier … Jahren einer von ihnen zurückkam. Und er hat alles zurückgefordert. Oh, er war wirklich ein stolzer junger Mann. Groß, so wie Sie sind, hochgewachsen. Und Augen hatte er, die durchbohrten jeden, wenn er zornig wurde. Und kaum hatte er den Fuß auf seinen Grund und Boden gesetzt, da flammte wieder ein Feuer auf – und er verbrannte zu Asche … Manche sagen, es waren wieder die Schotten.« Langsam schüttelte Ben sein verwahrlostes Haupt. »Aber manche sagen auch, sie waren es nicht.«
Christophers Neugier war erwacht. »Willst du damit sagen, es waren nicht die Schotten?«
Ben wackelte mit dem Kopf. »Da gibt's die einen, die meinen's zu wissen, und dann die anderen, die's nicht wissen. Man kann sich da eben einfach nicht sicher sein.«
»Aber du weißt es doch«, drang Christopher in ihn. »Einer mit deinem klugen Kopf, der muß es doch wissen.«
Ben schielte sein Gegenüber an. »Tja – Ihr seid mir ein ganz Scharfsinniger, das seid Ihr, Herr. Doch, doch, ich hab' meine fünf Sinne beisammen, das hab' ich, und in besseren Zeiten gehörte der olle Ben zu den wildesten von allen. Die meisten Burschen hier meinen, der olle Ben ist verblödet, halb blind vom Rum. Aber ich sag's Ihnen, der olle Ben hat sowohl ein scharfes Auge als auch ein gutes Ohr, und damit sieht und hört er, was überall so vor sich geht.«
Er beugte sich über den Tisch, um seinem neuen Freund näher zu sein, und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Ich kann Ihnen vielleicht ein paar Geschichten über die Leute hier erzählen, da sträuben sich Ihnen die Haare. Hah, die würden nur lachen, wenn sie einen Mann brennen sehen, tja, das würden sie.« Wie in jäher Besorgnis schüttelte er den Kopf. »Aber ich rede besser nicht davon. Is' nich' gut für mich.«
Christopher winkte Molly und warf ihr eine Münze hin, als sie Ben einen frischen Krug brachte. Für ihn war sie nur Herzlichkeit und Lächeln; aber als sie den alten Kerl ihm gegenüber ansah, verzerrten sich ihre Lippen zu einem höhnischen Grinsen, dann warf sie den Kopf in den Nacken, machte sich wieder an die Arbeit und bediente die Männer, die beim Kaminfeuer saßen.
Ben nahm einen tiefen Schluck aus dem vollen Krug und lehnte sich in seinen Stuhl zurück. »Sind ein guter Freund, Herr, das schwör' ich beim Grabe meiner Mutter, jawohl, das sind Sie.«
Ein robuster Kerl mit feuerrotem Haar, das er unter seinem Dreispitz zu einem Zopf gebunden trug, stieß die Tür zur Gaststube auf. Er klopfte sich den Lehm von den Stiefeln und schüttelte die Regentropfen vom Mantel. Dicht dahinter folgte
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