Eine Rose im Winter
vielleicht gar nicht tot«, meinte Christopher. Er erhob sich und zog sich seinen langen Überrock an.
»Seit drei Jahren bin ich hier Sheriff, und ich habe noch nichts gesehen oder erlebt, was beweist, daß er am Leben ist«, bemerkte Allan. Er lehnte sich zum Fenster, als eine große Kalesche draußen vorbeifuhr, und sprang auf die Füße. »Das ist Lord Talbots Kutsche. Er weiß mehr über Saxton Hall als irgendein Mensch hier in der Gegend. Kommen Sie, ich stelle Sie ihm vor.« Über Allans Gesicht huschte ein Lächeln. »Wenn Sie Glück haben, dann ist seine Tochter Claudia bei ihm.«
Christopher setzte seinen Hut auf, folgte dem Mann durch den Flur und die Tür und überquerte mit ihm das Kopfsteinpflaster der Gasse. Eine große, prächtige Kutsche stand nahe bei dem Wirtshaus, und der Kutscher kletterte herunter, um flink einen kleinen Hocker vor die Tür zu stellen, die mit einem üppigen Wappenschild geschmückt war. Das Wappenschild bestand zum größten Teil aus Zierat, der etwas wirr wirkte, wodurch die drei unheimlichen, finsteren Balken darin weniger ins Auge fielen. Die Pracht der Kalesche hätte einen König vor Neid erblassen lassen, und als Lord Talbot ausstieg, erwies seine Erscheinung sich als gleichermaßen überwältigend, denn er war in den Brokat, die Spitzen und Seiden einer vergangenen Ära gekleidet. Er erschien in mittleren Jahren und hatte sich gut gehalten. Er blickte zur Tür und bot einer jungen Frau die Hand, deren schlanke und schwarzhaarige Erscheinung, wenn auch unauffälliger gekleidet, aus der Entfernung eine auffallende Ähnlichkeit mit Erienne Fleming zu haben schien. Doch als er näher hinsah, wurde Christopher klar, daß sie mit der Schönheit der anderen bei weitem nicht zu vergleichen war. Diese Augen hier verengten sich zum äußeren Winkel hin und ließen die Schwere der Wimpern vermissen, die ihre amethystfarbenen Pupillen umrahmten. Auch wenn man ihren Gesichtsschnitt nicht gerade grob nennen konnte, so war er doch nicht so fein und delikat wie der von Erienne. Auch ihre Haut war nicht so hell und klar. Aber andererseits, jedes Mädchen würde es schwer haben, die Anmut und Schönheit jener, der er bereits begegnet war, zu übertreffen.
Claudia Talbot blieb neben ihrem Vater stehen. Sorgfältig zog sie sich die samtene Kapuze ihres Mantels über den Kopf, um ihre Haartracht vor dem dünnen Regen zu schützen, bevor sie die Hand auf den dargebotenen Arm ihres Vaters legte. Ihr Blick glitt über Christopher hinweg auf eine so langsame, prüfende Art, die ihn sicher sein ließ, wie sorgfältig sie seine körperlichen Vorzüge abschätzte.
»Aber nein, Allan«, murmelte sie, als die beiden sich näherten, »ich habe nie gedacht, daß Sie mich die Straße entlang jagen, nur um mir einen weiteren Mann vorzustellen. Sind Sie denn überhaupt kein kleines bißchen eifersüchtig?«
Der Sheriff lachte und erwiderte in ihrer koketten Art: »Claudia, ich vertraue eben fest darauf, daß Sie mir treu bleiben, selbst wenn ich Ihnen ein ganzes Regiment von Männern gegenüberstelle.« Mit einer schwungvollen Bewegung deutete er auf den Mann an seiner Seite. »Darf ich vorstellen: Christopher Seton aus Boston. Nach seiner Kleidung zu urteilen ein Gentleman, und wenn er nicht acht gibt, noch ein Mann, der Ihnen und Ihrem Charme überwältigt zu Füßen liegt.«
»Ich fühle mich geehrt, Miß Talbot«, sagte Christopher und neigte sich galant über den Handschuh ihrer Hand.
»Meine Güte, Sie sind aber groß«, stellte sie neckisch fest.
Christopher kannte das Gehabe kecker Frauen nur zu gut, und er erkannte den kühnen Schimmer in den dunklen Augen. Sollte er weibliche Gesellschaft wünschen, dann fand er hier eine offene Aufforderung.
»Und dieser ehrenwerte Gentleman ist Lord Nigel Talbot«, sagte Allan und setzte damit seine Vorstellungszeremonie fort.
»Seton … Seton …«, wiederholte Lord Talbot nachdenklich. »Den Namen habe ich doch schon mal gehört.«
»Vielleicht erinnern Sie sich an ihn wegen des Missverständnisses, das ich vor ein paar Wochen mit Ihrem Bürgermeister hatte«, schlug Christopher vor.
Lord Talbot sah ihn interessiert an. »Aha, dann sind Sie also derjenige, der sich mit Farrell duelliert hat, eh? Nun gut, ich kann Ihnen daraus keinen Vorwurf machen. Dieser ungezogene Junge macht Ärger, wohin auch immer er seinen Fuß setzt.«
»Mr. Seton ist aus Geschäftsgründen in Mawbry«, stellte Allan fest. »Er ist möglicherweise daran interessiert,
Weitere Kostenlose Bücher