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Eine Sacerda auf Abwegen

Eine Sacerda auf Abwegen

Titel: Eine Sacerda auf Abwegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: May R. Tanner
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Herz und Verstand. Warum nur hatte sie ihn zurückgestoßen? Er hatte ihr
doch nichts tun wollen. Chadh hatte geglaubt, Juno würde ihn verstehen. Er war
nicht wie dieses Schwein, das ihr alles und noch mehr genommen hatte. Für sie
hatte er wirklich versucht, wenigstens ein paar Minuten seines wertlosen Lebens
ein besserer Mensch zu sein. Ein guter Mensch. Ein ganzer Mensch.
Jemanden, den man lieben konnte.
Er fiel auf den Rücken, fühlte harten Stahl und dessen Kanten unter sich
schmerzhaft auf der sich bald wandelnden Haut und den weich werdenden Knochen.
Es tat so weh, dass er sterben wollte. Doch er überlebte jedes Mal. Jedes
verdammte Mal. Schade um den schönen Anzug.
    Er ging zu
Boden und Junos Herz blieb beinahe stehen, als ihr klar wurde, wogegen er
ankämpfte. Sie sah so etwas nicht zum ersten Mal. Immerhin hatte sie lange
genug im Hause Faelis gelebt und auf ihren Reisen ebenfalls einige Formwandler
getroffen.
Grausam. Ja, das bin ich… Und gefühlskalt und innerlich tot. Es hätte keinen
Sinn, wenn du dein Leben opferst, um den Angriff auf mich zu rächen…
Entgegen ihrer Behauptung konnte sie den Anblick des sich hilflos windenden
Mannes nicht ertragen, auch wenn sie allen Grund hatte, ihn einfach seinem
Schicksal zu überlassen. Das brachte sie einfach nicht fertig, auch wenn sie
nur fortlaufen hätte müssen. Aber etwas stimmte nicht. Er wehrte sich gegen die
Verwandlung und schien diesem Prozess hilflos ausgeliefert, obwohl er kein
adoleszenter Immaculate sein konnte. In diesem Fall hätte der Skarabäus wohl
kaum so heftig ausgeschlagen. Ein Grund mehr, sich um ihn zu sorgen. Er musste
unglaubliche Kräfte besitzen. Und doch hatte ihm niemand beigebracht, diese zu
beherrschen? Das war kaum vorstellbar, wenn er bei Immaculate aufgewachsen
wäre. In dem Fall hätte man sich darum gekümmert, ihm diesen Prozess zu
erklären, ihn zu befähigen, ihn willentlich zu steuern.
Juno zögerte nicht länger und krabbelte auf ihn zu, um sich zu seinem Kopfende
hinzukauern und ihr Sakko auszuziehen, das sie ihm fürsorglich unter den Kopf
schob.
    „Ruhig,
Chadh… Ich weiß, dass du unerträgliche Schmerzen hast… Es tut mir leid… Ich
wollte dich nicht zurückstoßen, ich war grausam… Verzeih mir.“, flüsterte sie
ihm mit inständig klingender Stimme zu und dann leuchteten ihre Augen rot auf,
weil sie ihrer Stimme noch mehr Eindringlichkeit verleihen musste. Sein Körper
wurde regelrecht von Krämpfen durchgeschüttelt. Es blieb keine Zeit. Ihr Leben
hing am seidenen Faden, doch sie hatte keine Angst. Nicht vor dem Tod.
„Es ist alles gut… Hab keine Angst… Ich habe auch keine… Niemand würde meinen
Tod betrauern… Er wäre eine Erlösung… Ich hätte in dieser Nacht vor vielen
Jahren sterben sollen, doch man holte mich zurück… Und als ich es von eigener
Hand tun wollte, taten sie es wieder… Ruhig, Chadh… Ruhig. Konzentrier dich auf
meine Stimme… Ich bin bei dir.“ Langsam verfiel Juno in den hypnotischen
Singsang der Sacerdas , den sie mühevoll gelernt hatte, weil die
magischen Gesänge in der alten Sprache verfasst worden waren, die nicht einmal
fähige Archäologen zu entziffern vermochten.
Sie beugte sich tief über sein Gesicht, so dass ihre Haare sich wie ein
schützender Schleier um sie beide legte und umfasste seine Wangen mit einer
schmetterlingsgleichen Berührung, um ihm nicht noch mehr Schmerzen zu bereiten.
Sie hatte diese Behandlung bisher nur bei jugendlichen Immaculate durchgeführt,
weil die Älteren ihre Fähigkeit in der Regel zu beherrschen gelernt hatten.
Ich war so dumm, ihm Betrug zu unterstellen… Aber Manasses duldet niemanden
in seiner Nähe, der seine Fähigkeiten nicht perfekt unter Kontrolle hat… Wer
bist du, Chadh? Die Gedanken beschäftigten sie, obwohl sie nicht aufhörte,
für ihn zu singen. Sie musste ihn bei Bewusstsein halten, damit ihn das Tier in
ihm nicht restlos überwältigte. Die süßen Klänge würden es auch besänftigen und
nicht weiter reizen.
    Juno.
Ihre Stimme erreichte Chadh nur noch aus weiter Ferne. Er atmete schwer und mit
heftig aufgeblähten Wangen. Er konnte nichts mehr sehen. Das Tier in ihm hatte
das Sichtfeld übernommen und lauerte auf die Beute. Nein.
Chadh fühlte wie sein Kopf angehoben und etwas Weiches darunter gelegt wurde,
das die dröhnenden Schmerzen in seinem Schädel, die sich wie Hammerschläge auf
einen Amboss anfühlten, ein bisschen milderten. Und dann fühlte er Juno so nah,
als hätte ihre Seele eine

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