Eine Sacerda auf Abwegen
animierte, alles begierig aufzulecken und aufzufangen, kam eine neue
Melodie. Süßer und sehnsüchtiger als die vorherige. Eine, die sein Herz
öffnete, ihn ihren tiefsten und geheimsten Schmerz fühlen ließ und die
Bereitschaft, sie zu töten und zur Aufgabe der eigenen Persönlichkeit zu
zwingen, langsam aber sicher wieder tief in ihm drin einschloss. Es war reine
Energie, die ihn traf und sobald er sich über den Schmerz in seinen Gliedern
hinwegsetzen konnte, griff er blind nach ihrem Handgelenk, um die Lippen an
ihre Handinnenfläche zu pressen und so viel wie möglich aus der blutenden Wunde
zu saugen und zu lecken. Sein Hunger war unermesslich groß und ihre freiwillige
Spende durfte er nicht von sich weisen. Es war besser und wärmender als der
getrunkene Alkohol. Schon nach dem ersten Tropfen wusste er, dass er dieses
reine Blut bei sich behalten konnte. Er brauchte mehr davon.
Da er sie gepackt hielt und sie ihm körperlich keine Gegenwehr bot, biss Chadh
rücksichtslos in Junos Puls. Ihr Gesang veränderte sich kurz in eine leicht
schrille Tonlage, doch sie zog nicht fort, ließ ihn trinken und alles auf sich
zukommen. Was auch immer ihr passieren mochte, sie würde sich nicht wehren.
Chadh schaffte es, während er mehr und mehr trank, die Augen zu öffnen. Noch
hatten sie eine intensive Farbe aus blau und glühendem rot. Er konnte ihre
Tränen sehen, die sie hinter geschlossenen Lidern weinte. Sie rollten beständig
ihre Wangen hinab und machten sie noch schöner. Er musste sich beherrschen,
sonst würde er diese liebliche, überirdische Erscheinung für immer zerstören,
doch er konnte nicht. Zu flüssig und heiß rann ihr Blut in seine Kehle, wärmte
und füllte seinen Magen, gaben ihm die Kraft zurück, nach der er seit Jahren
gierte und mehr ersehnt hatte als alles andere.
Er trank viel. Mehr als in ihrem ausgezehrten Zustand gut für Juno war. Erst
als sie bewusstlos auf ihm zusammensank und der Gesang aufhörte, stoppte Chadh
in seinem schier unerschöpflichen Blutdurst. Er schob sie ohne Sorge von sich
herunter, um sich erheben zu können.
Mit blutverschmiertem Gesicht und hell vor neugewonnener Lebenskraft blitzenden
Augen starrte er auf Juno herunter, als würde er sie just in diesem Moment zum
allerersten Mal sehen. Ihre Wangen wirkten noch hohler und blasser. Die schlaff
von sich fort gestreckte Hand blutete noch aus der Schnittwunde und den
Bissmalen. Sie sah aus wie man sich das schlafende Dornröschen in einem Märchen
vorstellte. Würde Chadh sie hier liegenlassen, war es gar nicht so
unwahrscheinlich, dass sie einhundert Jahre schlief, bis man sie fand (würden
nicht Besuchergruppen am nächsten Tag kommen, die sie natürlich nicht übersehen
würden) oder für immer, denn er hatte ihr bis auf einen kleinen Rest alle
verbliebene Kraft geraubt.
So, wie
sie es gewollt hat.
Es war ihre Entscheidung gewesen, ihm ob ihres geschwächten Zustandes Blut
zugeben. Er hatte sie fortgeschickt, damit sie dem sicheren Tod entging.
Sicher, da sie entweder das Tier oder er selbst töten würde. Zumindest sah es
so aus.
Chadh wandte sich ab. Es war Zeit zu gehen. Das Tier in ihm schien sich zufrieden
in eine finstere Ecke seiner Seele zusammengerollt zu haben und schlafen zu
wollen. Nur noch ganz schwach fühlte er dessen Anwesenheit, die ihn sonst die
Wände hochgehen ließ und auch sein Hunger war soweit abgeebbt, dass er sich
tatsächlich stark und für einen winzigen Moment zufrieden fühlte.
Er war Juno zu nichts verpflichtet. Er hatte nicht verlangt, dass sie sich um
ihn kümmerte. Im Gegenteil. Da sie gewisse Erfahrungen und den daraus
resultierenden Schmerz gemeinsam hatten, hatte sie doch wissen müssen, was sie
erwartete, wenn sie sich darauf einließ. Er hatte nichts zurückzugeben und
wollte es auch nicht.
Chadhs Blick fiel auf den Käfer, der matt glänzend an seiner langen Kette am
Boden lag. Das Teil war ganz schön hässlich. Er überlegte, ob er ihn einfach
fortkicken oder zertreten sollte, sah noch einmal zu Juno, die regungslos auf
der Seite lag. Ihr schönes Gesicht halb bedeckt von ihrem wundervollen Haar.
Chadh
schnaubte. Er konnte nicht einfach so verschwinden. Diesmal nicht. Selbst ein
Trottel wie er wusste, wann man das letzte bisschen Anstand zusammenzukratzen
hatte. Also bückte er sich, nahm den hässlichen Käfer vorsichtig und sehr
skeptisch an einem Ende der Kette auf, um ihn in die Anzugtasche zu stecken.
Sorgfältig darauf bedacht, ja nicht die Flügel oder den Körper
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