Eine Sacerda auf Abwegen
Gefangene zeigte,
obwohl er schon das Schlimmste anzunehmen schien, noch bevor man ihm überhaupt
mit einem Prozess gedroht hatte. Den Ausdruck in seinen Augen hatte er in
seiner Kindheit allzu oft in den Augen der Mutter entdeckt, wenn die
Panikattacken sie überkamen und sie sich nach der Geborgenheit der Familie
sehnte, da sie sich völlig verlassen und allein fühlte, auch wenn sie diese
Isolation am Anfang selbst gewählt hatte.
Ihm drehte sich beinahe der Magen um, als er die armselige Geschichte hörte,
für die er keine genaueren Erläuterungen brauchte, um sich vorzustellen, wie
das Leben von Murchadh ausgesehen haben mochte. Es hätte genauso gut seines
sein können.
„Ashur, 330
Jahre alt und ein Mann namens Lucretius Rukh ist mein Vater.“, sagte Ash mit
dunkler Stimme, während sie einander nieder zu starren versuchten, was keinem
von ihnen gelingen würde.
Er griff, ohne wegzusehen, in die Innentasche seines schweren Ledermantels, da
er die Montur noch trug, und zog seinen Blackberry heraus, den er blind
bediente, um über eine Kurzwahltaste eine bestimmte Nummer zu wählen.
Der Ausdruck
in Chadhs Augen verhärtete sich, als der Krieger sich als Sprössling der
Familie vorstellte, die er mehr als alles andere auf der Welt hasste. Ihm lagen
nun eine Menge Worte auf der Zunge, die klar gestellt hätten, was er von den
Rukhs hielt, doch er war vorsichtig und schwieg. Eine leise Stimme tief in ihm
drin warnte ihn davor, voreilig zu sprechen.
Die beiden lieferten sich ein Blickduell, bei dem die Luft dazwischen vor Kälte
hätte vibrieren mögen. Chadh konzentrierte sich vollkommen auf die ungewohnte
Umgebung und auf das, was Ashur tat, der mit seinem Handy hantierte.
„Nevin?
…Nein, nicht direkt. Deshalb rufe ich nicht an. Malcolm geht es gut so weit.
Wie kann ich Gwen erreichen? ...Sie wird es wollen. Kannst du sie bitte
herbringen? Lass dich von jemandem vertreten. Sie wird dich brauchen. …Bis
gleich.“ Das Gespräch war mehr als knapp ausgefallen und auch nicht in dem
zwischen ihnen sonst üblichen freundschaftlichen Umgangston.
Wer war Gwen?
Sollte sie ebenfalls zu dieser Rukh-Bande gehören, dann wollte Chadh sie nicht
kennenlernen. Zu tief saß der Stachel der Verletzungen, die Levika ihm zugefügt
hatte und die Warnungen vor dem Lord, der ihm garantiert nichts Gutes wollte.
Mit einem
unterdrückten Grollen in der Kehle steckte Ash das Gerät wieder in den Mantel
und ließ ihn dann von den breiten Schultern gleiten, um ihn über einem der
Besucherstühle zu werfen. Darunter trug er noch allerlei Waffen, die er jedoch
in den Halftern stecken ließ. Eine innere Unruhe ergriff ihn, die nun einmal
Teil seiner Natur war. Er machte sich Sorgen, wie seine Mutter reagieren würde,
wenn sie sich mit ihrer Vergangenheit konfrontiert sah, über die sie schon
einmal nur sehr schwer hinweggekommen war.
Es trug nicht
gerade zu Chadhs Beruhigung bei, Ash vor dem Bett dabei zusehen zu müssen, wie
der merkwürdig bekannte Fremde von oben bis unten bewaffnet auf und ab schritt.
Erwartungsvoll. Lauernd und gefährlich. Wie das Raubtier, das in ihm steckte.
Nichts an dem Krieger hätte ihn vermuten lassen, dass dieser sich mit
Unsicherheit oder Sorgen plagte, während sie auf den bestellten Gast warteten.
Nach etwa
einer viertel Stunde des Umhergehens im abgemilderten Stechschritt, ohne dass
ein Wort zwischen den Wartenden gefallen war, blieb Ash wie angewurzelt stehen
und sandte Murchadh einen frostigen Blick.
„Ich warne dich! Wenn du deine Zunge nicht im Zaum hältst, dann gnade dir Gott!
Du kannst mit mir reden, wie dir der Schnabel gewachsen ist, aber nicht mit
deinem nächsten Besuch. Solltest du ihr zu nahe treten, werde ich dir mit
Freuden die Hölle auf Erden bereiten, bis du darum bettelst, endlich sterben zu
dürfen!“
Chadh
reagierte mit einem animalischen Fauchen, bei dem die vier für Formwandler
ihres Schlags typischen Fangzähne deutlich blitzten. Er hatte sich nun nicht
als besonders ausfallend empfunden und wenn da in der Tür gleich wirklich eine
Rukh auftauchen würde, dann konnte er für gar nichts mehr garantieren.
Das letzte
Wort war kaum ausgesprochen worden, da klopfte es leise an die Tür, die dann
auch gleich aufglitt. Ein junger Mann, der eine ähnliche Aufmachung wie Ash
trug, hielt sie einer strahlend schönen Frau auf, die förmlich in den Raum
geschwebt kam. Zumindest erweckte sie den Eindruck, da der Rock ihrer
bodenlangen Seidenrobe effektvoll um ihre schlanke Gestalt
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