Eine Sacerda auf Abwegen
noch den hellen Schopf, der sie nicht auf den richtigen
Gedanken gebracht hatte. Wie auch? Sie kannte den Krieger Ashur nur mit kahl
rasiertem Schädel.
Sie blinzelte angestrengt und sah dann plötzlich die Patrona gestochen scharf
in all ihrer strahlenden Schönheit. Chadh war also nicht ohne Grund so auf ihre
Haare fixiert gewesen. Es erinnerte ihn bestimmt an die Mutter, die er nie
gekannt hatte. In seinem Unterbewusstsein musste das Verlangen nach ihr so groß
gewesen sein, dass er seine Zurückhaltung vergessen hatte und in ihr einen
Ersatz für dieses Gefühl gesucht hatte. Juno konnte für ihn nur die zweitbeste
Wahl sein.
Das Blut von Gwénaëlle Fontaine trieb schon einen Hauch Farbe in Chadhs Wangen
und seine Atemzüge wurden schon regelmäßiger und ruhiger.
Tief in
seinem Unterbewusstsein spürte Chadh natürlich genauso wie das Tier, dass Juno
da war. Seine Verbündete. Die Einzige, die nicht versucht hatte, ihn hinters
Licht zu führen oder auszunutzen und das war es dann auch, was ihn Frieden
finden und zur Ruhe kommen ließ, ohne sich weiter gegen die Fremden zur Wehr zu
setzen, die ihn glauben machen wollten, dass er zu ihrer Familie gehörte und
nur dort hin. Er fühlte sich sicher, weil Juno bei ihm war und dafür sorgen
würde, dass ihm so schnell nichts passierte, wie sie es ihm versprochen hatte.
Also trank er begierig instinktgesteuert das Blut, das ihm geboten wurde, ohne
in seinem Delirium zu merken, dass es nicht Juno war, die ihn speiste, sondern
die Fremde. Mit einem Mal sah er sich von einem hellen, warmen Licht umgeben,
das ihn blind für den Rest um sich herum machte. Ein Traum. Das musste es sein,
denn er fühlte sich losgelöst von seinem Körper und so gut wie schon lange
nicht mehr. In der Ferne tauchte ein schwarzer Punkt in dieser Welt aus Licht
auf, der langsam zu einem dunklen Schatten wurde und schließlich zu einer
Silhouette, deren Form ihm nichts und alles zugleich sagte. Da ihn das Licht
blendete, hob Chadh eine Hand vor die auch im Traum empfindlichen Augen und
trat langsam und argwöhnisch auf den Schatten zu. Es war eine Frau, die dort
regungslos stand und offenbar darauf wartete, dass er zu ihr kam. Wie Juno
hatte sie langes goldenes Haar, das sich in einem nicht fühlbaren Wind
geisterhaft bewegte und sie trug ein Gewand, das genauso strahlend war wie das
Licht, das sie beide umgab. Chadh trat noch näher heran und erkannte sie
schließlich als die fremde Frau, die heute Nacht in das Krankenzimmer gekommen
war. Sie musste es sein. Entweder sie oder der Geist seiner… Mutter?
Die weibliche Erscheinung, deren Augen so blau wie die seinen waren, schenkte
ihm ein liebevolles Lächeln. Sie war es. Chadh war sich noch nie eine Sache so
sicher gewesen.
Mutter!
Voller Sehnsucht danach, sie wenigstens einmal in seinem Leben zu berühren,
streckte er beide Hände nach ihr aus, doch noch bevor er sie erreichte,
verstärkte sich die Intensität des Lichts und blendete ihn. So sehr, dass die
Gestalt vor seinen Augen verschwamm, an Schärfe verlor und sich schließlich
ganz auflöste. Bevor ihm dies jedoch ganz bewusst wurde, wachte er mit
klopfendem Herzen und jagendem Puls in seinem Krankenbett auf. Die Leere in ihm
war geblieben. Seine Mutter war tot und Juno fort.
Er braucht
mich nicht mehr!
All die Pläne, die Juno für sich und Chadh geschmiedet hatte, fielen wie ein
Kartenhaus, das von einer Windböe erfasst worden war, in sich zusammen. Es tat
weh, dabei zusehen zu müssen, wie Nevin Fontaine das Handgelenk seiner Frau
sanft umfasste und die Wunde zärtlich mit seinem Speichel heilte, während er
den freien Arm um ihre Mitte gelegt hatte und sie sicher an seine Brust
gedrückt hielt.
Die Patrona
wandte ihr den vom Blutverlust trägen Blick zu und lächelte sie schmerzlich an:
„Ich danke Ihnen von Herzen, dass Sie Murchadh in seiner Raserei beruhigt
haben, Honora Nuntia. Das war ein sehr großes Wagnis.“
Junos Miene
schien sich mit einer neuen Schicht eisiger Abwehr zu überziehen, während sie
sich von der Sophora löste, die sie immer noch stützte.
„Das war das Mindeste, was ich tun konnte… Immerhin hat er mein Leben und das
meiner Tochter gerettet. Das war ich ihm schuldig.“, antwortete sie mit mühsam
beherrschter Stimme, die sich nun nicht mehr lieblich sondern nur noch rau und
angestrengt anhörte.
„Ihr entschuldigt mich nun sicher, Devena Gwénaëlle… Ich werde hier wohl nicht
mehr gebraucht.“
Juno neigte den Kopf vor der höher gestellten Frau
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