Eine Sacerda auf Abwegen
wäre aber das einzige, was mich mit ihr verbinden würde… Ich möchte sie
doch verstehen. Ich tue es bereits… jedenfalls ansatzweise. Aber das kann doch
nicht alles gewesen sein. Was war die letzten 28 Jahre?“
Sid konnte sich nicht vorstellen, wie das Leben von Juno ausgesehen haben
mochte. Sie hatte als sorgloses Partygirl begonnen und danach? Nur Einsamkeit
und völlige Leere?
„Das ist
weniger ein Geheimnis. In Europa jedenfalls nicht. Juno ist eine Nuntia… Sie
ist für den Anführer der europäischen Krieger tätig. Sozusagen eine Art
Botschafterin, die aber auch Verhöre durchführt, wenn sich beispielsweise
Immaculate etwas zu Schulden haben kommen lassen. Du weißt ja, dass auch deine
Stimme diese Besonderheit aufweist, dass sie Menschen in ihren Bann ziehen
kann. Nach der Umwandlung wirst du sie noch besser einsetzen können. Es ist
eine ehrenvolle aber auch sehr schwierige Aufgabe. Sie wird auch mit Opfern
sprechen müssen, wie sie eines war. Das erfordert sehr viel Mut.“, gab Nico
bereitwillig Auskunft.
Sid starrte
sie mit leicht geöffnetem Mund an, weil es ihr wie Selbstkasteiung vorkam, was
Juno sich mit dieser Aufgabe antat. Sie nahm einen weiteren Schluck des
wärmenden Tees und dann nahmen ihre Augen einen entschlossenen Ausdruck an.
„Kann ich das auch werden? Ich meine… Nuntia?“
Nico
blinzelte überrascht und legte dann den Kopf schief, um Sid eine Weile lang
überlegend zu mustern.
„Nun, die Nuntias sind direkt dem Anführer der Krieger unterstellt. In der
Regel übernimmt eine der Sacerdas diese Aufgabe… Das sollte man nicht übers
Knie brechen. Aber es wäre ein guter Anknüpfungspunkt, da du dich mit Fragen an
Juno wenden könntest. Ich weiß, dass du dir vielleicht wünschst, sie würde den
ersten Schritt machen, aber du kannst es aus einer geschützten Beziehung heraus
tun. Malcolm wird immer hinter dir stehen und dir Halt geben. Verstehst du? Ich
will dich bestimmt nicht, zu etwas drängen. Du stehst unter keinem zeitlichen
Druck, Sid. Aber ich finde deinen Gedanken sehr tapfer und großherzig. Immerhin
würdest du Dienst an der Rasse leisten, die dir vor kurzem noch die kalte
Schulter gezeigt hat.“
Sid lächelte
erfreut, dass ihre Idee nicht gleich verworfen wurde und beugte sich impulsiv
nach vorne, um Nico einen Kuss auf die Wange zu geben.
„Danke, Nico! Du bist einfach unglaublich. Ich hoffe, ich kann einmal genauso
viel für dich tun wie du gerade für mich.“
Sie drehte den Kopf in Richtung Tür und lächelte Malcolm schon weit
zuversichtlicher entgegen, als er sie vor ein paar Minuten zurück gelassen
hatte. Nico hatte Recht, sie konnte wohl kaum erwarten, dass Juno ihr
entgegenkam. Sie hatte sich schließlich nicht aus Egoismus von ihr abgewendet.
Sie hätte es bei ihrem Vater nicht besser haben können.
„Alles in Ordnung?“, fragte sie Malcolm, weil Juno sich draußen vielleicht noch
streitbarer gezeigt haben könnte als vorhin hier im Salon.
“Ja und
nein.”, antwortete er schlicht und ließ sich am Tisch nieder, um sich in
lustloser Geste eines der Sandwiches zu nehmen und zu essen. Ihm war zwar nicht
danach, doch irgendwie musste er die innere Unruhe und Sorge in sich bekämpfen.
Sie alle hatten sich insgeheim dieses Zusammentreffen bestimmt anders ausgemalt
als eingetroffen. Natürlich waren sie mit keinerlei oder sehr geringen
Erwartungen an Juno herangetreten, aber so gar kein Entgegenkommen zu finden,
wenn auch aus nachvollziehbaren Gründen, fühlte sich irgendwie hart an.
“Juno möchte
vorerst keinen weiteren Kontakt. Sie wollte sich wirklich nur selbst
vergewissern, ob mit dir alles in Ordnung ist. Ich habe ihr gesagt, dass sie
jederzeit bei uns willkommen ist und niemand ihr Vorwürfe macht, aber sie ist
so in ihrem Schutzpanzer aus Abwehr und Einsamkeit gefangen, dass sie kaum
jemand da herausholen kann. Trotz meiner Freundlichkeit und dem Versprechen, ihr
Zeit zu geben, schaltet sie auf stur. Sie meint es nicht böse, da bin ich
sicher, aber erreichen konnte ich sie nicht. - Für diesen Moment bleibt alles
so wie bisher.“
Malcolm legte das belegte Brot auf einem Tellerchen ab, obwohl er nicht einmal
davon abgebissen sondern nur zu seiner Beschäftigung gehalten hatte.
“Es tut mir
sehr leid, Sid. Ich hätte dir zumindest gern den Versuch eines näheren
Kennenlernens ermöglicht.”
Auch Nico bekam einen entschuldigenden Blick zugeworfen. Sie hatte sich solche
Mühe gegeben und sogar das Gespräch mit dem als schwierig bekannten
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