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Eine Sacerda auf Abwegen

Eine Sacerda auf Abwegen

Titel: Eine Sacerda auf Abwegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: May R. Tanner
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dem starken Einfluss des Castles entzogen
hatte. Blieb immer noch die Macht des Samhain, die manches Mal sogar stärker
wirken konnte als ein voller Mond.
Sie hatte die Ellenbogen locker auf dem Tresen abgestützt und beugte sich so
weit nach vorne, dass die Krempe ihres Hutes ihr Gesicht in den Schatten
verschwinden ließ und die Dunkelheit der Gläser dadurch noch betont wurde. Sie
hatte keinen Blick für die Umgebung, war in Gedanken meilenweit weg. Aus den
Augenwinkeln erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf einen weiteren Gast, der
sich an die Bar setzte. Juno hielt den Blick weiterhin auf ihr Glas gerichtet,
das noch halb voll war, als könnte sie auf dessen Grund die Geheimnisse des
Lebens ergründen.
Ihre Ohren waren aber zu scharf, um die Worte des Mannes einfach zu überhören.
Er klang jung und unsicher, als fühlte er sich nicht wohl in seiner Haut. Juno
konnte nichts dagegen machen, sie war nun einmal eine geborene Nuntia ,
sie hatte die Fähigkeiten nach ihrer Umwandlung einfach nur kultivieren müssen.
Sie konnte Stimmen lesen wie andere Menschen Mimik oder Gestik. Baal war ja ein
so überaus großzügiger Spender. Juno verzog den Mund verdrießlich und dachte
bei sich, dass er einfach ein geiler Bock gewesen sein musste, der seinen Harem
zu seiner Unterhaltung mit gefälligen Gaben bedacht hatte. Und besonders mit
auffallender Schönheit, wie sie seiner damaligen Laune entsprochen hatte.
    Als sie
unvermittelt eine Hand auf ihrer Schulter spürte, fuhr sie erschrocken auf dem
drehbaren gepolsterten Hocker herum und warf den Kopf etwas in den Nacken, so
dass ihr Hut verrutschte. Sie griff mit einer Hand danach, bevor er herunterfallen
konnte, und warf dem Mann, der sie unerlaubt berührt hatte, einen tödlichen
Blick zu, den er jedoch nicht sehen konnte, weil sie ja immer noch die Brille
trug. Ihr entging sein taxierender Blick jedoch nicht, der jedes Detail ihres
Gesichtes zu studieren schien, obwohl er die Augen zwei Mal senkte, als wollte
er einschätzen, ob sie unter dem Anzug genauso gut aussah, wie ihr Gesicht ihm
versprach. Wenn du wüsstest … Zu einer anderen Zeit hätte sie wohl mit
ihm geflirtet, er war durchaus attraktiv, auch wenn er sicher schon übersättigt
von den Späßen war, die man in seiner Gesellschaftsschicht spielte.
    „Originelle
Verkleidung!“, flüsterte er leise, wobei er versuchte, geheimnisvoll zu klingen
und kläglich dabei versagte, und griff dann nach ihrer Kopfbedeckung, bevor
Juno ihn aufhalten konnte.
Wie eine golden schimmernde Kaskade fiel ihr schweres leicht gewelltes Haar
über ihre Schultern, bis ihr gesamter Oberkörper davon bedeckt war. Sie hatte
es schon lange nicht mehr abgeschnitten, es reichte ihr inzwischen beinahe bis
zur Hüfte, sie trug es aber höchst selten offen zur Schau, weil es unweigerlich
die Blicke von Männern auf sich zog. Es war in jedem Fall nützlich bei ihrer
Arbeit, die einzige Gelegenheit bei der sie ihr Aussehen zu ihrem Vorteil einsetzte.
    „Geben Sie
mir sofort meinen Hut zurück!“, verlangte Juno, deren eisiger Gesichtsausdruck
im krassen Gegensatz zu der einschmeichelnden Stimme stand, die glockenhell und
süß wie Honig klang. Sie unterlegte die gesprochenen Worte mit einem Hauch des
Timbres, das sie willentlich kontrollieren konnte.
Der Gesichtsausdruck ihres Gegenübers war kurz wie leergefegt, als wäre ihm
entfallen, wo er sich aufhielt und was er gerade gesagt hatte. Es ließ ihn
zusammen mit dem sandigen Braun seiner Haare und den gewöhnlichen wässrig
blauen Augen tatsächlich mit einem Mal vollkommen unattraktiv erscheinen, was
wieder einmal bewies, dass der Charakter einer Person wichtiger war als sein
Aussehen allein.
Juno nahm ihm den Hut ab, nachdem sie die Brille abgezogen und hinter sich
abgelegt hatte, um sich zu ihm vorzubeugen und ein paar Worte zuzuflüstern, die
ein Leuchten in seine Augen zauberten, als hätte sie ihm versprochen, sofort
vor ihm auf die Knie zu gehen. Nichts dergleichen.
Juno drehte sich ungerührt von ihrem übereifrigen Verehrer weg und strich sich
mit den Händen über die Haare, um sie im Nacken zusammen zu fassen und den Hut
wieder aufzusetzen, wobei sie einige der kürzeren Strähnen, die ihr Gesicht
sonst umspielten mit den Fingern unter die Krempe stopfte.
Der Mann im teuren Anzug, der jedoch die etwas untrainierten Schultern nicht
verbergen konnte, trat an die Bar heran und winkte den Barkeeper zu sich her,
um ihm zu sagen, dass die junge Dame neben ihm bestellen dürfte,

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