Eine Sacerda auf Abwegen
ihrem Hinterkopf hallte dabei Manasses Stimme wider.
Befehl ist Befehl…
Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern und ließ ihn zurück auf ihr Dekolleté
fallen, um das Hemd zu Ende zu knöpfen, die kurze Krawatte zu binden und
anschließend das schwarze Sakko überzustreifen, das den Anzug vollständig
machte, den sie vor Jahren in Paris erstanden hatte. Sie zog schwarze
Schnürstiefel mit hohen Absätzen dazu an, weil sie so etwas größer wirkte und
die Hosenbeine sonst auf dem Boden schleifen würden. Als Letztes setzte sie
einen Hut auf, unter dem sie die Flut ihrer langen Haare stopfte. Ein schwarzer
Borsalino Fedora mit einem Schmuckband aus Seide, wie man ihn aus den
Gangster-Filmen der 40er und 50er Jahre kannte. Juno machte sich nicht die
Mühe, in den Spiegel zu sehen, da sie keinerlei Hilfsmittel benötigen würde, um
die Schönheit ihres Gesichtes zu unterstreichen. Sie wollte sie eher verbergen
und hatte deshalb den Hut mit der schützenden Krempe gewählt und würde
zusätzlich eine dunkle Sonnenbrille dazu anziehen.
Sie steckte Geld und Kreditkarte in die Innentasche ihres Sakkos und ein
flaches, goldenes Etui in die Außentasche, dann trat sie wieder hinaus auf
ihren Balkon, wo sie minutenlang vollkommen ausdruckslos in den nächtlichen
Himmel starrte, als würde sie sich auf einen anderen Planeten wünschen, weil
hier auf der Erde kein Platz für sie war.
Einen
Wimperschlag später tauchte sie in den Schatten der 54th Street auf, wo sie
noch weit genug weg vom Broadway war und dennoch das pulsierende Leben des
Theater Districts förmlich spüren konnte, obwohl es schon weit nach Mitternacht
war.
Halloween … Auch die Menschen feierten diese Nacht, auch wenn sie es
nicht taten, um der Magie zu huldigen. Es ging einfach darum, so viel Spaß wie
möglich zu haben. Juno schlenderte die Straße entlang, die sich mehr
bevölkerte, je näher sie dem Broadway kam. Sie hatte diesen Ort in voller
Absicht gewählt. Sie kannte sich hier aus wie in ihrer Westentasche, hatte sie
doch unweit von hier eine schicke Wohnung besessen, die sie schon lange
veräußert hatte, weil sie die Erinnerungen nicht aushielt, die in ihr wohnten.
Sie erreichte die Ecke zum Broadway und blieb versonnen mitten auf dem Gehsteig
stehen, um das alte Gebäude hinaufzublicken, das vor vielen Jahren die
berühmteste Diskothek der Welt beherbergt hatte. Sie sah noch das Leuchtzeichen
vor Augen, einfach 54. Davor hatten sich wahre Menschenmaschen gedrängt, die
alle darauf hofften, ein Teil dieses Traumes zu werden, den ein paar
Auserwählte Nacht für Nacht exzessiv begingen.
Alles hatte sich verändert… Der Eingang war immer noch überdacht, jedoch nicht
mit dem schwarz-weißen kastenförmigen Reklameschild. Es war vielmehr ein
Gebilde aus Plexiglas, in das tausend kleine Lämpchen eingebaut waren, als
wollte man den Eindruck erwecken, am nächtlichen Himmel über New York doch die
Sterne funkeln sehen zu können. Der mit royalblauem Teppich ausgelegte
Eingangsbereich war abgesperrt und zwei riesenhafte Bodyguards standen unbewegt
zwischen den beiden Pfosten, die nicht durch ein Absperrband miteinander verbunden
waren.
Eine Schlange von Wartenden hatte sich gebildet, doch es fuhren immer wieder
Limousinen und exklusive Sportwagen vor, deren Insassen von den herbei geeilten
Einparkhilfen versorgt wurden und die ungehindert an den Absperrung durchkamen,
wo eine junge Frau in einem bodenlangen Abendkleid und einem kostbaren Pelz um
die Schultern mit einem hoheitsvollen Nicken die Spreu vom Weizen trennte.
Juno stellte sich nicht in die Reihe der Wartenden, sie steuerte sofort die
Geschäftsführerin an, da sie es noch niemals nötig gehabt hatte, irgendwo
draußen zu warten. Die hübsche Brünette, die jedoch einen strengen Zug um die
schmalen Lippen hatte, die Juno verrieten, dass die Dame ein wenig älter war,
als man aus der Ferne annahm. Gut gehaltene Enddreißigerin, wenn sie nicht
chirurgisch nachgeholfen hatte. Wenigstens hatte sie auf aufgespritzte Lippen
verzichtet, die meistens so unnatürlich aussahen, dass man sich die Spritzerei
von vorneherein sparen konnte. Aber wer wusste schon, ob sie selbst es fertig
gebracht hätte, in Würde zu altern. Immerhin hatte sie ihr 50. Lebensjahr
erreicht und sah immer noch aus wie mit süßen 19.
„Guten
Abend.“, sprach Juno mit einem angedeuteten Lächeln und nahm die dunkle Brille
ab, um sich die Musterung der Frau gefallen zu lassen.
„Ihren
Ausweis, bitte.“, verlangte die
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