Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.
Sandri in seinem Vorwort zur Ausgabe der Untersuchungsakten, herausgegeben von Salvatore Carbone und Renato Grispo (Bologna, 1968): »Die Bitte um Auswahl ehrenwerter Bürger, eine stets schwer definierbare Kategorie, lief schließlich darauf hinaus, daß hauptsächlich Personen aus der Aristokratie und solche, die aufgrund ihrer Beschäftigungen und Berufe zur Klasse der Besitzenden und Rechtschaffenen gehörten, ausgewählt wurden; auf den Listen stehen auch, jedoch in geringerem Maße, Kleinhändler, Handwerker und einige wenige Bauern.«
Leonardo Sciascia zitiert in einer seiner Schriften einen Ausspruch von Matteo Maria Bojardo, der sehr passend ist: »Ein guter Anfang ist der beste Wegweiser.« Es sei mir gestattet, ihn hier zu übernehmen. Und mehr noch: Wenige Tage bevor die Kommission mit ihren Arbeiten in Palermo begann, wurden der Vorsitzende Richter des Appellgerichts und der königliche Staatsanwalt dieser Stadt versetzt. Der erste war der Mitwisserschaft bei Mafiaverbrechen angeklagt, der zweite war schwer in einen Konflikt zwischen Gerichtsautorität und einigen Politikern verwickelt. Vielleicht hatte der Justizminister beabsichtigt, daß durch diese zwei Maßnahmen eine allzu heftige Konfrontation der Mitglieder des Ausschusses mit dem tatsächlichen Stand der Dinge vermieden wurde. Die Kommission bat den Justizminister, mindestens für ein Jahr keine Versetzungen mehr zu veranlassen. Diese Forderung ging dem Minister ins eine Ohr rein und zum andern wieder raus. Im Dienst der Notwendigkeit der Säuberung und der Wiederherstellung der Ordnung verschwanden Personen spurlos, die den Kommissaren möglicherweise etwas durch die Blume hätten mitteilen können.
Die Kommission brachte ihre Arbeit innerhalb des vorgegebenen Zeitraums zum Abschluß und veröffentlichte einen umfangreichen Bericht. Sie hatte 1128 Zeugen bei einhundertvier Vorladungen angehört, vierzig Städte und Gemeinden besucht, und von neununddreißig weiteren hatte sie Abordnungen empfangen. Es gab eine heftige Diskussion darüber, ob auch die stenographierten Verhörprotokolle veröffentlicht werden sollten. Das Nein überwog. Eine Veröffentlichung unterblieb, um nicht die bloßzustellen, die sich mit ihren Erklärungen zu sehr exponiert hatten. In Wahrheit hatte sich keiner exponiert, keiner hatte mehr gesagt als das, was man ohne weiteres auch in den Zeitungen und in den Prozeßakten irgendeines Gerichts nachlesen konnte. Hinz und Kunz hatten sich vor der Kommission so verhalten wie sie mußten.
Ebenfalls im Jahr 1875 machten sich Franchetti und Sonnino auf den Weg, um auf eigene Faust in Sizilien eine Untersuchung durchzuführen: Es handelte sich dabei um eine außerparlamentarische Aktion (nicht im heutigen Sinne, bei Gott nicht), die sie der parlamentarischen Kommission gegenüberstellen wollten. Ihr Schlußbericht war wesentlich intelligenter und scharfsinniger als der der Regierungskommission. Sie gingen den Dingen tiefer auf den Grund, doch auf Wurzeln stießen auch sie nicht.
Wie ich bereits gesagt habe, kamen die Akten der parlamentarischen Kommission erst beinahe hundert Jahre später zur Veröffentlichung. Bevor sie in den Druck gingen, war 1962 eine neue parlamentarische Kommission ernannt worden, die »über das Phänomen Mafia« Ermittlungen anstellen sollte. Dieses Mal wurden neben dem Schlußbericht auch die Verhörprotokolle veröffentlicht (Rom, 1978).
Ich kann behaupten, ohne ein Dementi befürchten zu müssen, daß der Staat sich die Ausgaben (und es hat sich dabei gewiß nicht nur um hundert Lire gehandelt) für die Einrichtung der neuen Kommission hätte sparen können. Es hätte vollauf genügt, den Titel und den Schrifttyp von vor hundert Jahren zu ändern. Denn die Fragen sind identisch, die Antworten gleich, das Ergebnis ein Spiegelbild.
7.
Bevor die Kommission vor Ort direkte Zeugenaussagen sammelte, leistete sie, wie bereits gesagt, gründliche Vorarbeit. Unter anderem bat sie den militärischen Oberkommandanten in Sizilien, Alessandro Avogadro di Casanova, seines Grades Generalleutnant, die bisher vom Heer zum Zwecke der Eindämmung des »Gaunerwesens« geleisteten Dienste darzulegen. Das Antwortschreiben ist ziemlich kurios, denn der Generalleutnant verfehlt das Thema, wie man in der Schule so schön sagt; anstatt die Maßnahmen zu schildern, die ergriffen wurden, ist er bemüht, der Kommission die Reaktionen der sizilianischen Öffentlichkeit auf die Nachricht von der Einrichtung der
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