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Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Titel: Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Kommission und des Erlasses möglicher Sondergesetze zu unterbreiten. An einer bestimmten Stelle schreibt er:

    »Ihre Exzellenz kennt bestens die schier unüberwindbaren Schwierigkeiten, das Gaunerwesen mit herkömmlichen Mitteln auszurotten – diese Schwierigkeiten haben ihre Wurzeln tief und fest in der öffentlichen Unmoral und dem Bestechungswesen. Das dauernde Anstacheln von seiten des Klerus, die übelsten Beispiele so mancher Gutsherren, die sich ungestraft am Verbrechertum bereichert haben, die blutrünstigen, dem Laster und Nichtstun zugeneigten Instinkte, der gegenseitige Haß der Besitzenden und der Proletarierklasse – all das sind die Gründe für den moralischen Verfall und für die haltlosen und nicht zu bremsenden Leidenschaften, weshalb die moderne Zivilisation, die bei anderen Völkern leicht und rasch Fuß fassen konnte, vor dieser Barriere aus Korruption innegehalten hat, die im Lauf der Jahre äußerst stabil geworden ist.«

    Zwei Anmerkungen muß ich an dieser Stelle machen. Ich werde mit der zweiten beginnen, die sich auf die nicht neue Geschichte der ausgebliebenen Entwicklung der »Zivilisation« in Sizilien bezieht. Daß die Sizilianer und die Süditaliener im allgemeinen, sagen wir es ruhig, Wilde sind, das wurde in jenen Jahren von vielen Seiten her laut – doch die Vertreter dieser These sind die ersten Opfer eines perversen und aufoktroyierten Schemas, das die conquistadores als die alleinigen und einzigen Kulturträger ausweist. Versteht man die Sizilianer als Wilde, muß Sizilien folgerichtig als Kolonie behandelt werden. Doch innerhalb dieses sogenannten Denkschemas gab es zwei Schulen. Die erste, die eine größere Anhängerschaft zählte, wurde von General Boglione angeführt, der im Parlament erklärt hatte, dank seiner natürlichen Überzeugung, gestützt auf die Erfahrung eines mehrmonatigen Aufenthalts in jenem fernen Land, habe er sich eine klare Vorstellung davon machen können, daß die Sizilianer nicht aus demselben Holz geschnitzt sind wie die Völker, die den Stand der Zivilisation erreicht haben, oder so ähnlich. Der General war ein gestandener Mann, von gemessenen Worten sowie verhaltenen und gleichzeitig trägen Reflexen. Er brauchte in der Tat genau vierundzwanzig Stunden, um einen sizilianischen Bauern zu foltern, der während des Verhörs stur den Mund nicht hatte aufmachen wollen, bevor er begriff, daß er es mit einem armen Taubstummen zu tun hatte.
     Seiner Schule anzugehören, rühmte sich der Präfekt von Caltanissetta, Guido Fortuzzi, eine Art gewöhnlicher Delinquent, der in dieses hohe Amt gehoben (wie man es den Akten der Kommission entnehmen kann) und sinniger- oder unsinnigerweise, je nach Gesichtspunkt, irgendwohin versetzt worden war, bevor die Kommission in Caltanissetta eingetroffen war. Man sieht, daß im Innenministerium dieselbe reinigende Flamme am Werk war wie bei den Kollegen im Justizministerium. Fortuzzi schreibt am 4. Januar 1875:

    »… dank langjähriger Erfahrung kenne ich die moralische Entartung dieser Bevölkerung, für die Ideale wie Gerechtigkeit, Lauterkeit und Ehre leere Worte sind und die deshalb raubgierig, blutrünstig und abergläubisch ist.«

    Für Boglione und Fortuzzi handelt es sich also um eine genetische Angelegenheit. Wenn es in Sizilien keine Zivilisation gibt, dann ist das eine Frage der DNA.
     Die zweite, kleinere Schule beruft sich auf den Generalleutnant Casanova, einen Mann von gänzlich anderem Format als Boglione und Fortuzzi, denn sein Denken ist wesentlich weniger oberflächlich: Sie vertritt die Ansicht, auf der Insel könne sich die Zivilisation dort entwickeln, wo ein fruchtbarer Humus bereitgestellt würde, und zwar durch die Abschaffung von Vorrechten und die Beseitigung schädlicher Einflüsse.

    An dieser Stelle möchte ich den Leser bitten, sich keine falsche Vorstellung bezüglich der Behauptungen zu machen, die Tomasi di Lampedusa dem Fürsten von Salina über die uralte und längst verkommene Kultur der Sizilianer in den Mund legt. Salinas Hypothesen sind nicht als Pflichtverteidigung zu verstehen. Der Fürst ist bei dem, was er sagt, ganz und gar guten Glaubens. Nur ist sein Blick auf eine alpine Landschaft gerichtet, die aus reinweißen Felsspitzen und schneebedeckten Höhen besteht, denen man leicht den Namen eines Marchese, eines Grafen, eines Barons, selbst eines Fürsten geben kann und wo der Steinbock springt, die Gemse den Felsen erklimmt, der Königsadler erhaben kreist. Aufgeklärte

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