Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.
und aufklärende adlige Sizilianer gab es und wird es weiterhin geben, doch Tatsache ist, daß der Fürst nicht in Richtung Tal, zu den Niederungen der Großgrundbesitzer und den Dörfern knapp über dem Meeresspiegel schaut. Hätte er nur seinen Blick gesenkt und eine Landschaft voll von Mäusen, Spinnen, Schlangen und Skorpionen entdeckt, dann hätte er, davon bin ich überzeugt, zwar nicht unbedingt die Ansichten von Boglione oder Fortuzzi, bestimmt aber die von Casanova geteilt und nie mehr »wir Sizilianer« zu sagen gewagt.
Der erste Kommentar, der kein solcher sein will, sondern vielmehr nur eine Hervorhebung, bezieht sich auf den Satz, in dem vom »dauernden Anstacheln von Seiten des Klerus« die Rede ist. Casanova geht nicht weiter, sondern wirft nur einen kleinen Stein in den Teich, d. h. er weist lediglich darauf hin, daß es nur eines geringfügigen Anstoßes bedarf, um ihn zu einer ausführlichen Erörterung des Themas zu bewegen.
Die Mitglieder der Kommission wollen ihm jedoch auf diesem Weg nicht folgen, vielleicht weil sie befürchten, daß sich der kleine Kiesel in einen Riesenmahlstein verwandelt. Sie erbitten von ihm einen authentischen Bericht über die Bekämpfung des Gaunerwesens. Casanova antwortet und übermittelt die gewünschten Kurznotizen, die von Pompeo Bariola – seine rechte Hand und seinerzeit Generalmajor – überprüft waren, der sich in der erfolgreichen Bekämpfung des Banditentums zwischen 1861 und 1865 ausgezeichnet hatte. Es war damals durchaus üblich, »aufgrund von Zeitmangel zusammenfassende Übersichten« zu verschicken, denn den größten Teil seiner Zeit verbrachte Generalleutnant Casanova mit der Aufstellung von Hinrichtungskommandos.
Zu Bariola muß ich eine Zwischenbemerkung machen. Als er vor dem Ausschuß in Messina verhört wird, zeigt der Generalmajor sich als das, was er ist: als Witzfigur. Bei der Zeugenaussage erhebt er sich vom Stuhl, macht eine Verbeugung, dreht eine Pirouette, breitet die Arme aus, schließt die Augen wie ein Toter, setzt sich wieder hin, springt auf, verändert seine Stimme. Entgeistert beginnt der Stenograph, die Bewegungen des Generals in Klammern zu notieren, und die seriösen Akten des Ausschusses verwandeln sich in das Szenenbuch einer Schmierenkomödie.
Im Begleitschreiben zu diesen Aufzeichnungen kann Casanova es sich nicht verkneifen, der Kommission einen anderen Floh ins Ohr zu setzen:
»Das ungestörte Fortbestehen der Banden und die unmittelbare Folge des Rückgangs der Verbrechen wird in der Öffentlichkeit von vielen als Auswirkung einer Ordnungsparole der Mafia angesehen, welche das Stillhalten für einen gewissen Zeitraum anordnet, der ausreicht, in diesen Provinzen die Anwendung des Gesetzes der öffentlichen Sicherheit abzuwenden.«
Als wolle er sagen: Meine Herrschaften der Kommission, seid auf der Hut, es gibt nicht nur den Innen- und den Justizminister, die den Wahrheitshorizont mit ihren vorzeitigen Versetzungen korrupter oder übelbeleumundeter Beamter verändern, sondern auch die Mafia hat ihre Finger im Spiel. Es ist eine höfliche und fast schmunzelnde Aufforderung an die Kommission, hinter die Kulissen zu schauen. Der Generalleutnant Avogadro di Casanova muß, wie man sich erzählt, ein Mann von großer Zivilcourage und scharfem Verstand gewesen sein: Unserer Meinung nach besaß er obendrein einen recht trockenen Humor.
8.
Der Generalleutnant Casanova, der bereits durch seine schriftlichen Äußerungen bekannt ist, wurde am 12. November 1875 in Palermo verhört, das heißt sechs Tage nachdem die Kommission mit ihren Anhörungen begonnen hatte. Beim selben Verhörtermin sagten außer Casanova auch Lucio Tasca Graf d’Almerita, der Baron Gabriele Bordonaro-Chiaramonte, Abgeordneter von Terranova/Sizilien, der Fürst Gaetano Monroy Ventimiglia di Belmonte, Abgeordneter aus Bivona, sowie ein einfacher Rechtsanwalt aus, dessen Nachname, Muratori, das Stichwort für den Tagesverlauf lieferte, nämlich murare, mauern. Nicht eine von den Zeugenaussagen wurde von den Herausgebern Carbone und Grispo in die Druckfassung von 1968 aufgenommen. Im Vorwort erläutern die beiden die Kriterien, nach denen sie die Aussagen ausgewählt haben (in der Tat hätten sie nicht alle veröffentlichen können); sie erklären, jene nicht aufgenommen zu haben, die als Grundlage für die Niederschrift des Schlußberichts dienten. Das bedeutet, daß keine (oder fast keine) der interessanten Aussagen publiziert wurde. Als
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