Eine skandalöse Braut
als ihn der süße Duft von Rosenöl in der Nase gekitzelt hatte, der von ihrer zarten Haut aufstieg – ja, von dem Moment an hatte er sich verhalten wie ein verdammter Idiot.
Oh, natürlich war sie schön. Aber es herrschte kein Mangel an schönen Frauen. Der Vorfall war für ihn völlig untypisch.
Den ganzen Morgen musste er an den herrlichen Geschmack ihres Munds denken; an ihr goldenes Haar und ihre makellose Haut; ihre betörenden Augen, die diese ungewöhnliche, kristallblaue Farbe hatten.
»Was soll das heißen?« Luke blickte zwischen den beiden Freunden hin und her. »Hathaways Tochter hat euch erwischt ? In Spanien habe ich erlebt, wie du dich hinter die Reihen der Franzosen geschlichen hast, ohne auch nur einen Zweig zu zertreten, wie kommt es also, dass du auf einem Londoner Balkon gestellt wirst?«
»Es war eher unser guter Freund Alex, der sie geschnappt hat. Im wahrsten Sinne des Wortes.« Michael schenkte sich nach. Das leise Geräusch der ins Glas fließenden Flüssigkeit wurde durch das schallende Gelächter eines beleibten Gentlemans an einem nahen Tisch übertönt, der sich lebhaft über Getreideimporte unterhielt. »Er behauptet, sie habe die Balkontüren geöffnet und machte auf ihn den Eindruck, ihr könnten die Sinne schwinden. Offenbar brauchte sie nur etwas frische Luft. Aber da er so gerne holde Maiden rettet – was ihn, wie ich ihn später erinnern durfte, in Badajoz fast das Leben gekostet hat –, ist er aus dem Schatten aufgetaucht und hat sie in seine Arme gerissen.«
»Ach, verflucht. Es war kein besonders großer Balkon, und ich stand nur wenige Fuß von ihr entfernt«, murmelte Alex. »Sie hätte mich sowieso gesehen. Was sollte ich denn machen? Sollte ich sie zu meinen Füßen niedersinken lassen? Sie hatte die Augen geschlossen und schwankte. Ihr beide hättet in dieser Situation dasselbe getan. Zum Glück stellte sich heraus, dass es ihr gut ging, aber das wusste ich ja vorher nicht.«
»Aber sie weiß jetzt, dass du dort warst.« Luke warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Dass du nach einem geheimnisvollen Schlüssel gesucht hast, weiß sie vermutlich auch. Ich muss schon zugeben, das Ganze ist … faszinierend. Du kannst dir sicher denken, wie neugierig Michael und ich sind.«
Wenn er ehrlich war, wusste er selbst nicht besonders viel. »Der Schlüssel ist ein Familienerbstück.«
»Warum ist er dann in Hathaways Besitz?« Michael blickte ihn mit dem für ihn typischen leeren Gesichtsausdruck an. Seine kastanienbraunen Augenbrauen hoben sich eine Winzigkeit. »Warum vertraust du uns nicht die ganze Geschichte an?«
»Das ist wirklich eine berechtigte Frage«, stimmte Luke ihm zu.
»Ihr zwei habt auch eure Geheimnisse«, bemerkte Alex gereizt, wobei er sich mehr über sein eigenes Verhalten ärgerte als über die Befragung. Es war ihm nicht nur misslungen, den Schlüssel zu finden, nein, er war sogar dabei entdeckt worden. Dann hatte er einem Impuls nachgegeben – er war sonst nie impulsiv! – und hatte die beinahe vollständig entkleidete Lady Amelia geküsst, die nicht nur jungfräulich war, sondern die letzte Frau in ganz London, die er hätte berühren dürfen. Zwischen ihren Vätern herrschte eine lang anhaltende Feindschaft, von der Alex immer angenommen hatte, sie sei aus irgendeinem Händel in der Jugend der beiden erwachsen. Inzwischen kam es ihm so vor, als habe diese Feindschaft weit mehr mit dem verfluchten Schlüssel zu tun, als ihm lieb war. Es war offensichtlich, dass Lady Amelia keine Ahnung hatte, wer er war. Aber wenn sie seine wahre Identität enthüllte, und das könnte sie zweifelsohne, da beide in den gleichen Kreisen verkehrten und an denselben gesellschaftlichen Ereignissen teilnahmen, könnte das einen neuen Ausbruch der Feindseligkeit nach sich ziehen. Für ihn würde sich die Angelegenheit als Eigentor erweisen, da sich für Hathaway dann auch die Frage stellte, was Alex in seinem Haus gesucht
hatte.
Dann erinnerte er sich, wie zerbrechlich sie gewirkt hatte, als sie blass im Mondlicht stand. Mit den nackten Schultern, den Rundungen ihrer Brüste, die leicht entblößt waren, ihre Augen schlossen sich …
Also gut, vielleicht hatte er eine Schwäche für schöne Jungfern, die in Not gerieten. Er liebte auch Kinder, seine Einsamkeit und die Astronomie. Für ihn besaßen die Sterne am weiten Nachthimmel eine ganz eigene Faszination. Weil er seine Mutter nie hatte kennenlernen dürfen, verehrte er seine Großmutter, weshalb er
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